Stand: 06.03.2017 18:51 Uhr

Zu wenig Pflegekräfte auf dem Land

von Brid Roesner & Dörte Pesch

Noch schnell die Fenster putzen, bis die Kinder aus dem Kindergarten und der Schule nach Hause kommen. Janine Salmon ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Doch jetzt fällt sie für die nächsten Wochen aus: Sie muss operiert werden. Deshalb braucht sie eine Haushaltshilfe - für mindestens sechs Stunden am Tag. Ihre Krankenkasse bezahlt eine solche Kraft. Allerdings nur dann, wenn diese von einem Vertragspartner kommt.

Janine Salmon soll sich an ambulante Pflegedienste wenden. Sechs telefoniert sie ab - ohne Erfolg. "Die einen haben ganz pauschal gesagt, wir haben keine Kapazitäten, wir haben keine Mitarbeiter, wir machen das nicht. Wir können Ihnen da nicht helfen. Und die anderen haben gesagt, wir könnten maximal für zwei Stunden die Woche jemanden zu Ihnen schicken, aber mehr haben wir leider nicht an Kapazität."

VIDEO: Zu wenige Pflegekräfte auf dem Land (9 Min)

Auf dem Land fehlen Pflegefachkräfte

Ambulante  Pflegedienste versorgen immer mehr pflegebedürftige Menschen. Doch Fachkräfte fehlen - erst recht eine solche Kraft für die Hilfe im Haushalt. "Typisch, wenn man auf dem Land wohnt. Da hat man dann gar keine Hilfen mehr im Prinzip. Es heißt halt, es wird alles Mögliche angeboten. Die Krankenkasse bezahlt sogar, aber es gibt halt keine Menschen, die arbeiten wollen hier beziehungsweise die da sind, um hier zu arbeiten."

Pflegedienste arbeiten an Kapazitätsgrenze

Nach langer Suche findet Janine Salmon am Ende einen Pflegedienst im Nachbarort. Für Hilfsarbeiten im Haushalt muss die Pflegedienstleiterin keine Fachkraft abstellen. Durch Zufall gab es noch eine Bewerbung von einer Pflegehelferin. Die haben sie nun kurzerhand eingestellt.

Bei Fachkräften haben sie nicht so viel Glück sagt Andreas Kern vom Pflegedienst: "Aufgrund der Personalproblematik in Deutschland - sprich es gibt keine Fachkräfte mehr, sind immer mehr Pflegedienste an der Kapazitätsgrenze, wenn ich das blöde Wort mal verwenden darf. Das bedeutet, sie sind gar nicht in der Lage, personell neue Personen zu pflegen. Und das wird immer mehr ein Problem in diesem Lande."

Zeitdruck erschwert die Arbeit

Das weiß auch die Pflegedienstleiterin vom Deutschen Roten Kreuz Ines Tecklenburg. Ihre Sozialstation deckt die Samtgemeinde Nordkehdingen ab – 25 Kunden zwischen Wischhafen bis hoch zur Elbe. Von dort ist die Nordsee nicht mehr weit.  

Bei ihrer Tour kommt es auf Pünktlichkeit an. Einige Behandlungen müssen zu bestimmten Zeiten erfolgen: Das Anziehen von Thrombosestrümpfen zum Beispiel - oder das Spritzen bei Diabetes. Eine halbe Stunde zu spät und es wird kritisch für die Kunden. "Da wir auf der Straße unterwegs sind, können wir nie genau sagen, wann wir genau da sind und ob wir pünktlich sind."  Und weil der Pflegedienst allein schon 20 Minuten für die erste Anfahrt braucht, können sie keine weiteren Kunden in diesem Zeitfenster aufnehmen. Dabei klingelt das Telefon von Ines Tecklenburg häufig: "Die rufen dann bei uns an und sagen: Haben Sie Kapazitäten? Und in den meisten Fällen muss ich dann sagen, es tut mir leid, aber wir können derzeit auch nicht."  

Über 4000  freie Stellen in der Pflege

So lange es geht, in den eigenen vier Wänden leben. Im Dezember 2015 waren in Niedersachsen 318.000 Menschen pflegebedürftig. 68,6 Prozent von ihnen wurden zu Hause betreut. Die Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen, meldete für den Januar 2017 4000 freie Stellen in der Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege

Zu Hause bleiben statt ins Heim - das ist politisch so gewollt. In den vergangenen Jahren wurde gesetzlich versucht, die ambulante Pflege zu stärken und pflegebedürftigen Menschen mehr Rechte einzuräumen. Doch wenn die Arbeitskräfte fehlen, nützen die besten Gesetze nichts.

Kleine Pauschale für die Dienste

Das spüren eben zuerst die, die auf dem Land leben. Hinzu kommt, dass jeder Pflegedienst nur eine kleine Pauschale bekommt, egal wie viele Kilometer er fahren muss. Gerade private Anbieter rechnen ganz genau, ob sie für einmal Augentropfen geben, so weite Strecken in Kauf nehmen. Eine Situation, die die Lage noch verschärft.

Das merken sie auch im Stader Krankenhaus. Der Sozialdienst arbeitet eng mit ambulanten Pflegediensten in der Region zusammen. Über 20 Jahre regelt Karin Maibohm die weitere Versorgung von Patienten, wenn die etwa nach einer Operation entlassen werden.

Probleme haben zugenommen

Doch seit etwa zwei Jahren hat sie immer häufiger Probleme, in Stade und der gesamten Umgebung Pflegedienste zu finden. "Wir müssen dann gucken, wie wir die Versorgung irgendwie hinbekommen. Manche müssen dann ins Heim. Das haben wir auch schon gehabt."

Irgendetwas - das sagen die Beteiligten - lässt sich irgendwie immer noch organisieren. Doch das wird nicht mehr lange gut gehen. Da sind sich alle einig.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 07.03.2017 | 21:15 Uhr

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