Hätte, wenn und aber - woran hat es gelegen?
Machtwechsel in Niedersachsen: Rot-Grün regiert, Schwarz-Gelb mit Ministerpräsident David McAllister (CDU) ist abgewählt. Aber warum eigentlich? Für Richard Hilmer, Geschäftsführer des Wahlforschungsinstitutes Infratest dimap, war vor allem der ausgeprägte Lagerwahlkampf einer der Hauptgründe. "Das Ergebnis ist schon erstaunlich. Eigentlich waren die meisten Bürger ja mit McAllister laut Umfragen zufrieden, aber der Wille der Wähler von SPD und Grüne nach einem Wechsel war zu stark ausgeprägt", erklärte Hilmer am Montag im Interview mit NDR.de. "Es gab eine ausgeprägte Abneigung gegen Schwarz-Gelb." Die CDU habe zudem deutlich an Profil verloren - zum Beispiel in der Bildungs- und Familienpolitik. Für viele Menschen sei das Thema soziale Gerechtigkeit wichtig gewesen - damit habe die SPD punkten können. Die Sozialdemokraten seien außerdem nicht so eingebrochen, wie zuletzt bei Umfragen im Bund - trotz der Diskussionen um SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
CDU stolpert auch über Wahlrecht
Auch das Wahlrecht in Niedersachsen spielte eine entscheidende Rolle. Vor allem die CDU wird sich massiv ärgern: Die schwarz-gelbe Koalition hat auch wegen der Tücken des neuen Wahlrechts eine eigene Mehrheit verpasst. Die CDU eroberte zwar ein Überhangmandat. Das fällige Ausgleichsmandat fiel nach der gültigen Verteilungsmethode an die SPD. Dadurch wurde der knappe rot-grüne Vorsprung am Ende sichergestellt. Die CDU dürfte jetzt bereuen, dass sie vor einigen Jahren im Alleingang das alte Verfahren geändert und durch eine Neuregelung ersetzt hatte. Mit der alten Verteilung wäre nach Berechnungen von Wahlrechtsexperten das Ausgleichsmandat an die FDP gegangen, Schwarz-Gelb hätte eine Mehrheit gehabt.
Die CDU gewann 54 Direktmandate. Über die Landesliste zog damit kein CDU-Bewerber in den Landtag ein. Die SPD-Kandidaten setzten sich nach Angaben der Landeswahlleitung in 33 Wahlkreisen durch. Das waren deutlich mehr als bei der Wahl vor fünf Jahren, als die Sozialdemokraten 19 Direktmandate gewonnen hatten. Insgesamt verlor die CDU also 14 Direktmandate an die SPD.
Minister erleben Debakel
Ein Grund für die Schlappe der CDU ist auch das schwache Abschneiden einiger Minister. Eines der prominentesten Opfer dieser Landtagswahl ist Uwe Schünemann (CDU). Der niedersächsische Innenminister unterlag im Wahlkreis Holzminden der SPD-Kandidatin Sabine Tippelt - und ist damit sein Landtagsmandat los. Auch CDU-Direktkandidat Bernd Althusmann, amtierender Kultusminister, konnte seinen Promi-Bonus nicht nutzen und flog aus dem Landtag. Er unterlag Andrea Schröder-Ehlers (SPD). Und auch Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) erlebte ein Wahldebakel. Sie erhielt in Hannover-Mitte nur 26 Prozent der Stimmen. Kleiner Trost: Ihr Wahlkreis war auch schon vorher in SPD-Hand.
Wahlkreis Hildesheim: 334 Wähler entscheidend
Allein entscheidende Wahlkreisen sieht Experte Hilmer aber nicht, jeder zähle gleich. Auch wenn beispielsweise Althusmann oder Schünemann gesiegt hätten, hätte es wohl keine großen Änderungen gegeben. Denn die daraus resultierenden nächsten zwei bis drei Ausgleichsmandate wären laut Hilmer wohl auch an SPD und Grüne gegangen.
Ihren hauchdünnen Vorsprung von nur einem Mandat im Landtag haben SPD und Grüne aber wohl auch nur wenigen Stimmen aus dem Wahlkreis Hildesheim zu verdanken. Dort bekam SPD-Kandidat Bernd Lynak gerade einmal 334 Erststimmen mehr als CDU-Konkurrent Frank Thomas Wodsack. Hätte die CDU diesen Wahlkreis gewonnen, hätte das dem schwarz-gelben Lager auch bei vollem Ausgleich der Überhangmandate eine Mehrheit gesichert, meint Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen am Montag. "Man kann sagen, dass 334 Wähler die Wahl entschieden haben." Bei der Landtagswahl 2008 hatte in diesem Wahlkreis noch Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) deutlich gewonnen.
"Splitting-Verhalten stellt alles in den Schatten"
Für Hilmer war vor allem das Splitting-Verhalten bei der Wahl in Niedersachsen außergewöhnlich. "Das hat alles, was wir bisher erlebt haben, in den Schatten gestellt. 85 Prozent der FDP-Wähler haben gesplittet, 80 Prozent von ihnen gaben der CDU die Erststimme." Auch bei Rot-Grün seien die Stimmen deutlich häufiger als sonst auf zwei Parteien verteilt worden. "Wenn man seine Wähler dazu auffordert, muss man sich am Ende nicht wundern", sagte der Infratest-dimap-Chef.