Stand: 17.11.2017 06:45 Uhr

GroKo: Die Vernunft-Ehe von Hannover

Die Große Koalition in Niedersachsen steht. Und sollte nichts Unvorhergesehenes eintreten, soll im Land in den kommenden fünf Jahren eine Politik der "Vernunft", die "Maß und Mitte" wahren wird, herrschen. So jedenfalls lauteten die Schlagwörter von SPD-Ministerpräsident Stephan Weil und dem CDU-Chef und künftigen Wirtschaftsminister Bernd Althusmann am Donnerstag in Hannover. "Wir gehen sehr zuversichtlich aus den Verhandlungen heraus", sagte Weil. "Wir haben das Wahlergebnis als Auftrag verstanden", ergänzte Althusmann. Es handele sich um eine Koalition mit einer besonderen Verantwortung. Es gehe nicht um Parteien, sondern um die Menschen in Niedersachsen. Wir haben die Ergebnisse der Koalitionsvertrag zusammengefasst.

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Das Vertragswerk beider Parteien liegt nach den Koalitionverhandlungen in Hannover auf einem Tisch. © dpa - picture alliance Foto: Peter Steffen

Der Koalitionsvertrag zum Download

SPD und CDU haben sich in Niedersachsen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Das Vertragswerk der künftigen Großen Koalition im Landtag gibt es hier zum Herunterladen. mehr

"Neustart in den Beziehungen"

Seit Anfang vergangener Woche hatten die Parteispitzen über ihre Zusammenarbeit verhandelt. "Zwei Wochen, das ist kein langer Zeitraum. Wir staunen über uns selbst. Hinter uns liegen viereinhalb Jahrzehnte der harten Auseinandersetzung der beiden Volksparteien", sagte Weil. "Für das Verhältnis der Volksparteien waren die Verhandlungen ein Neustart in den Beziehungen." Althusmann sprach davon, dass es zu Beginn reinigende Worte gegeben habe. Von einer Liebesheirat wollte Ministerpräsident Weil trotz allem nicht reden. "Liebe", so Weil, "ist ein großes Wort." Althusmann gab an, zumindest "in das Ergebnis verliebt" zu sein.

Autobahnausbau soll voran kommen

Beide Politiker betonten, dass eine Große Koalition nie das Ziel des Wahlkampfs gewesen sei. Dennoch sei eine "größtmögliche Zusammenführung der Wahlprogramme" gelungen, sagte Althusmann. "Wer glaubt, dass diese Große Koalition für Stillstand steht, der irrt." Das Bündnis sei eine Chance für eine grundlegende Weichenstellung in Niedersachsen. Beispiel Infrastruktur: Althusmann kündigte an, dass der Ausbau der Autobahnen vorangebracht werden soll. Strittig sind unter anderem der Ausbau der A 20 und der A 39. Zudem wird Althusmann Mitglied des VW-Aufsichtsrats. Im Wahlkampf hatte er noch die Besetzung mit einem externen Experten gefordert. Nun soll mehr Sachverstand ins Beteiligungsmanagement des Landes geholt werden, sagte er.

Einigung bei Inklusion

Zum Bereich Bildung sagte Weil: "Der Schulfrieden ist geschlossen und vereinbart." Auch beim Streitthema Inklusion einigten sich SPD und CDU. So sollen die Förderschulen Lernen zunächst weiter bestehen. Die Schulträger hätten die Möglichkeit, an diesen Schulen weitere vier Jahre lang Kinder einzuschulen, sagte Weil. Damit werde auf die Bedürfnisse in den unterschiedlichen Regionen Rücksicht genommen. Damit sei der Übergang zur vollständigen Inklusion nur verlängert worden. Das sei ein Ergebnis, "mit dem vor allem die Praktiker in den Schulen gut leben können", sagte Weil. Die CDU wollte ursprünglich eine einjährige Pause der Inklusion, konnte sich damit aber nicht durchsetzen.

Schullaufbahnempfehlung künftig nur auf Wunsch der Eltern

Einigkeit bestand bereits zuvor darüber, dass Kindergärten kostenfrei werden sollen. Das solle nicht zu Lasten der Kommunen geschehen, so Weil. Die Kosten für die geplante Neuregelung hatte das Kultusministerium auf 240 Millionen Euro jährlich geschätzt. Auch auf weitere 1.000 Lehrerstellen einigten sich SPD und CDU. Grundschulen, die auch in der dritten und vierten Klasse Berichtszeugnisse verwenden, sollen künftig für die vierte Klasse zusätzlich ein Zeugnis mit Zensuren ausstellen. Eine Schullaufbahnempfehlung für die weiterführende Schule soll es künftig dann geben, wenn die Eltern eines Schülers dieses wünschen.

Gefährder zwei Monate in Gewahrsam

Beim Thema Innere Sicherheit verständigten sich SPD und CDU auf die Einstellung neuer Polizeibeamter. 1.500 zusätzliche Polizisten sind geplant. Die Zielzahl liege allerdings bei 3.000 neuen Stellen, "aber das auf Grundlage einer zu erstellenden Bedarfsanalyse und inklusive nicht-polizeilichem Fachpersonal", sagte Weil. Dazu werde es einen Nachtragshaushalt geben, so Althusmann. "Das wird gewährleisten, ein höheres Maß an Innerer Sicherheit zu bekommen." Gerungen haben die Parteien nach seinen Angaben beim Thema der terroristischen Gefährder. Die Präventivhaft für Menschen, die einen terroristischen Anschlag planen, soll von derzeit maximal 10 Tagen auf einen Zeitraum von bis zu 64 Tagen ausgedehnt werden. "Das ist eine deutliche Ausweitung, aber der Sicherheitslage in Niedersachsen angemessen", sagte Althusmann. Mit dem Gewahrsam können mutmaßliche Gefährder festgesetzt werden, "wenn sie möglicherweise einen Anschlag auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Niedersachsen planen." In ihrem Wahlprogramm hatte die CDU eine Frist von bis zu 18 Monaten Präventivhaft für inländische Gefährder gefordert.

Digitales wird zur Ministersache

Das bisherige Wirtschaftsministerium soll nun auch in seinem Arbeitstitel als "Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung" den Fokus auf diesen Bereich setzen. Geplant ist, ein Sondervermögen aufzulegen, um den Breitbandausbau und die Digitalisierung von Verwaltung und Bildungseinrichtungen voranzutreiben.

Stimmen zum Ergebnis der Koalitionsgespräche

Christian Hinsch, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Niedersachsen

"Von enormer Bedeutung ist die zügige Umsetzung der Verkehrsinfrastrukturprojekte, wie sie nach dem heute vorgestellten Koalitionsvertrag insbesondere für die A 20 und die A 39 geplant sind. Dieses klare Ziel begrüßt die IHK Niedersachsen sehr. Auch die angekündigten Investitionen in den Ausbau der Breitbandversorgung in der Fläche sind ein wichtiger Schritt, um den Wirtschaftsstandort Niedersachsen zukunftsfähig zu machen. Skeptisch stehen wir nach wie vor dem Vorhaben der Einführung eines neuen Feiertags gegenüber.

Wohnsitzauflage kein Thema bei Verhandlungen

Beim Thema Asylpolitik wollen die Koalitionäre "bei einem konsequenten Gesetzesvollzug in Niedersachsen" bleiben, sagte Weil. "Wir haben einen Kompromiss gefunden, der es auf Grundlagen der Bundesgesetzgebung ermöglichen wird, zur Rückführung auch aus der Erstaufnahme zu kommen", sagte Althusmann. Gleichzeitig stehe man für eine humanitäre Politik, die es denjenigen mit Bleibeperspektive ermöglicht, sich schnell zu integrieren, so Althusmann. Die Wohnsitzauflage für Flüchtlinge sei dagegen nicht Gegenstand der Vereinbarung, sagte Weil. Die Auflage untersagt Flüchtlingen, ihren Wohnsitz frei zu wählen.

Weiterer Feiertag geplant

Die Koalitionäre wollen auch einen weiteren Feiertag einführen. "Wir sind für einen weiteren kirchlichen und gesetzlichen Feiertag. Welcher das ist, darüber wollen wir mit den Glaubensgemeinschaften sprechen", so Weil. Der künftige Wirtschaftsminister Althusmann fügte hinzu: "Es wird einen Dialog geben - mit Kirchen und Wirtschaftsverbänden. Aber es besteht auf beiden Seiten die Bereitschaft, einen gesetzlichen Feiertag einzuführen." Die Koalition wolle sich auch "vergewissern, was das an Kosten für die Wirtschaft nach sich ziehen würde", so Althusmann. In diesem Jahr war der Reformationstag bundesweit gesetzlicher Feiertag gewesen.

Tonne übernimmt das Kultusressort

Jeweils fünf Minister der neuen Regierung gehören der SPD an, fünf der CDU. Die Sozialdemokraten besetzen weiter das Innenressort, das auch zukünftig von Boris Pistorius geleitet wird. Der Parlamentarische Geschäftsführer, Grant Hendrik Tonne, wird Kultusminister. Die Bundestagsabgeordnete Carola Reimann übernimmt das Sozialministerium. Staatssekretärin Birgit Honé wird Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten. Olaf Lies, bislang Wirtschaftsminister, übernimmt das Umweltressort.

Hilbers Finanzminister, Thümler Wissenschaftsminister

Nachfolger von Lies wird CDU-Chef Althusmann. Reinhold Hilbers wird Finanzminister. Für Wissenschaft wird der frühere Fraktionschef Björn Thümler verantwortlich sein. Niedersachsens neue Justizministerin wird Barbara Havliza, bislang Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht in Düsseldorf. Das Landwirtschaftsministerium übernimmt die Landfrauen-Vorsitzende Barbara Otte-Kinast.

Wahl zum Ministerpräsidenten vermutlich am Mittwoch

Mit der erneuten Wahl Weils zum Ministerpräsidenten ist am kommenden Mittwoch zu rechnen. Zuvor will die SPD ihre Basis am Sonnabend über den Koalitionsvertrag abstimmen lassen. Bei den Christdemokraten ist ein Votum bei einem kleinen Parteitag am Dienstag geplant.

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Der Generalsekretär der niedersächsischen CDU, Ulf Thiele (links) und der niedersächsische Landesgeschäftsführer der SPD, Georg Brockmeyer, sprechen im Gebäude des Landessportbundes in Hannover vor Journalisten. © dpa - Bildfunk Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 16.11.2017 | 12:00 Uhr

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