Stand: 02.02.2016 05:00 Uhr

2006: Erste deutsche Offshore-Anlage rotiert

von Henning Strüber, NDR.de

Seit gut zehn Jahren rotieren die Rotorblätter der N90/2500 nur 500 Meter von der Kaikante des Rostocker Überseehafens im Wind. Hier im Breitling wurde am 2. Februar 2006 die erste Offshore-Windenergieanlage Deutschlands in Betrieb genommen. Mit Rostocks "neuem Wahrzeichen" und den geplanten Windparks in der Ostsee sei eine wichtige "Voraussetzung für die positive Entwicklung der Offshore-Industrie" geschaffen worden, sagte der damalige Wirtschaftsminister Mecklenburg-Vorpommerns, Otto Ebnet (SPD), bei der Fertigstellung.

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Tatsächlich hat sich in den vergangenen zehn Jahren viel getan. Neben der 2,5-Megawatt-Anlage im Breitling sind bis heute 101 weitere Anlagen vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns aufgestellt worden - in den Windparks "Baltic 1" vor dem Darß und "Baltic 2" vor Rügen. Der Windpark "Wikinger" soll voraussichtlich 2017 nordöstlich von Rügen ans Netz gehen. Auch die Leistung der Anlagen hat sich seitdem vergrößert. So haben Offshore-Windenergieanlagen der neuesten Generation eine Kapazität von 7 bis 8 Megawatt. Und die beiden "Baltic"-Windparks liefern laut Betreiber EnBW Strom für 390.000 Haushalte. Dagegen nehmen sich die 2.000 Haushalte in Rostock, die von der 125 Meter hohen Turbine im Breitling versorgt werden, bescheiden aus.

Pilot-Turbine lieferte Grundlagenwissen

Doch die Pilot-Anlage hat großen Anteil daran, dass in Deutschlands Nord- und Ostsee mittlerweile rund 3 Gigawatt Strom produziert werden (zum Vergleich: Onshore-Anlagen in Deutschland produzieren 39 GW). Denn die vom Rostocker Windanlagenbauer Nordex gebaute Turbine habe wertvolles Grundlagenwissen geliefert, sagt Marcus Heinicke, Abteilungsleiter bei Wind-Projekt. "Das war Neuland." Die Firma aus Börgerende bei Rostock zeichnet für die Projektplanung bei der Breitling-Anlage sowie der "Baltic"-Windparks verantwortlich.

"Ihr baut eine Anlage mit nassen Füßen - kann das funktionieren?"

Die bei der Planung der Anlage im Breitling gewonnenen Erkenntnisse hätten bei der Entwicklung von "Baltic 1" sehr geholfen. "Da haben wir sehr, sehr viel gelernt", sagt Heinicke. Es habe damals schon gewisse Vorbehalte gegeben. "'Kann das funktionieren? Ihr baut eine Anlage, die nasse Füße hat? Nur einen Steinwurf von der Kaikante entfernt?' Aber wir haben dabei wichtige Erkenntnisse gewonnen und gesehen, welche Unwägbarkeiten es da gibt", so Heinicke weiter.

Karte zum Ausbau der Offshore-Windenergie in Nord- und Ostsee © Stiftung Deutsche Windenergie Foto: Stiftung Deutsche Windenergie
Der Ausbau der Offshore-Energie schreitet in Nord- und Ostsee voran.

So zum Beispiel mit der Erreichbarkeit der Anlagen - speziell bei schlechtem Wetter. Zu einer Turbine an Land könne man einfach mit dem Auto hinfahren, bei einer Offshore-Anlage sei das viel komplizierter - "egal ob sie 500 Meter oder fünf Kilometer vom Land entfernt ist", so Heinicke. Aber das sei nicht alles gewesen: Auch über ökologische Faktoren wie den Vogelzug oder die technischen Herausforderungen des Untergrunds sowie der Verkehrslenkung habe man viel gelernt: "Wir haben da ein neues Feld betreten."

"Mecklenburg-Vorpommern ist gut dabei"

Ein neues Feld, das zum Gelingen der Energiewende einen wesentlichen Beitrag leisten könnte. Denn insbesondere nach dem Klimagipfel von Paris müsse der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt werden, meint Andree Iffländer, Vorsitzender von Wind-Energy-Network. In dem Verein sind rund 100 Unternehmen und Firmen aus dem Rostocker Umland und ganz Mecklenburg-Vorpommern zusammengeschlossen. "Offshore kann eine Erfolgsgeschichte werden. Mecklenburg-Vorpommern ist gut dabei. Aber dafür muss man auf dem Weg weitergehen."

Lange Entwicklungszeit und Milliardenkosten

Die EEG-Novelle von 2009 habe die wirtschaftliche Grundlage geliefert, sagt Iffländer. "Damit war die Finanzierungsfähigkeit gegeben." Doch die 2014 von der Bundesregierung verkündete Kürzung der Offshore-Ausbauziele von 25 auf 15 Gigawatt im Jahr 2030 hält Iffländer angesichts einer rund zwölfjährigen Entwicklungszeit und Milliardenkosten von Offshore-Windparks für falsch: "Wir sind Weltmarktführer. Wir haben die Leute ausgebildet. Und Deutschland als Vorreiter kürzt seine Ausbauziele. Das passt nicht", meint Iffländer. Der "Wismarer Appell", bei dem sich die norddeutschen Bundesländer Ende Januar für den konsequenten Ausbau der Windenergie ausgesprochen hatten, sei immerhin ein gutes Signal.

Verein: Investitionen nicht aushebeln

Gerade für ein strukturschwaches Land wie Mecklenburg-Vorpommern sei es wichtig, dass die Investitionen nicht ausgehebelt werden, ist Iffländer überzeugt. Denn es sei viel investiert worden: Im Fährhafen Sassnitz-Mukran wurden Verladestationen für die Anlagen für Ostsee-Windparks errichtet, die Eisengießerei Torgelow beziehe einen Großteil ihrer Aufträge aus der Windenergie-Branche und in Rostock profitiere Nordic Yards mit dem Bau von Errichterschiffen und Konverter-Plattformen. Auch das Erndtebrücker Eisenwerk (EEW) ist mit dem Bau von Fundament-Röhren ein Nutznießer. Iffländer beziffert die Zahl der Beschäftigten in der Offshore-Industrie allein im Nordosten auf 18.000.

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Windkraftgegner formieren sich

Eine Zahl, die auch Norbert Schumacher kennt. Der Vorsitzende des Aktionsbündnisses Freier Horizont hält ihr eine andere entgegen: 170.000. So viele Menschen leben im Nordosten laut dem Bündnis, in dem sich die Windkraftgegner aus rund 50 Initiativen aus ganz Mecklenburg-Vorpommern zusammengeschlossen haben, vom Tourismus. Schumacher verweist auf eine Studie, laut der sich ein nicht geringer Teil von Urlaubern von Windparks auf See gestört fühlt. Der Anblick eines Sonnenuntergangs am Horizont von einer Seebrücke aus sei eben etwas anderes, wenn davor Windräder rotierten, so Schumacher.

"Wir sind gegen den unkontrollierten Windkraftausbau"

Die "Verspargelung" der Landschaft ist aber nicht der einzige Grund, warum mit dem Ausbau der Windenergieanlagen in den vergangenen Jahren auch der Widerstand gegen diese angestiegen ist. "Die Bürger werden nicht mitgenommen, der Naturschutz nicht berücksichtigt", sagt Schumacher. So würden die Schweinswale und die Zugvögel durch die Anlagen bedroht. Außerdem brächten die Auskolkungen und Ausspülungen am Meeresgrund Gefahren mit sich. Und auch die Risiken für die Schifffahrt seien groß. "Vor dem Darß hat schon öfter mal ein Schiff auf dem Strand gelegen. Was, wenn so etwas in einem Windpark passiert?" Schumacher betont, dass er und seine Mitstreiter nicht generell gegen erneuerbare Energie sind: "Wir sind gegen den unkontrollierten Windkraftausbau."

Tiefe Kluft zwischen Befürwortern und Gegnern

So ist die Kluft zwischen Befürwortern und Gegnern tief. Fast auf den Tag genau zehn Jahre nachdem die Turbine im Breitling erstmals rotierte, hat das Aktionsbündnis "Freier Horizont" angekündigt, bei der Landtagswahl im September anzutreten, weil sie sich von der Politik im Stich gelassen fühlt. "Wir hoffen, dass wir so viel Einfluss gewinnen, dass unsere Regierung zur Vernunft kommt", sagt Schumacher. Iffländer vom Windenergie-Verein sieht dem gelassen entgegen: "Ich habe die Erwartung, dass es sachliche Gespräche gibt - und dass es Lösungen gibt."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 02.02.2016 | 05:00 Uhr

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