Stand: 04.06.2014 13:20 Uhr

Leyendecker: Kehrtwende nach "Sturm der Empörung"

Harald Range. © dpa-Bildfunk Foto: Uli Deck
Generalbundesanwalt Harald Range war wegen der zunächst ablehnenden Haltung zu Ermittlungen unter Druck geraten.

In der Affäre um die Datenspionage von Geheimdiensten ermittelt nun Generalbundesanwalt Harald Range. Range leitete ein Ermittlungsverfahren wegen der Überwachung des Handys von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein. Das sagte er im Rechtsausschuss des Bundestags in nichtöffentlicher Sitzung. Der Anfangsverdacht laute auf Spionage und Agententätigkeit. Zuvor hatten der NDR, der WDR und die "Süddeutsche Zeitung" über die Absicht Ermittlungen einzuleiten berichtet.

Wegen der Überwachung anderer Bürger behalte er sich die Einleitung von Ermittlungen vor, wenn neue Erkenntnisse aus dem Verfahren wegen Merkels Mobiltelefon dies zuließen. Das Ermittlungsverfahren soll demnach unter anderem mit der Vernehmung von Zeugen beginnen. Parallel bemüht sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags um Aufklärung der Datenspionage des US-Geheimdienstes NSA und anderer Nachrichtendienste.

Der Vertreter der Grünen im Rechtsausschuss, Hans Christian Ströbele, bezeichnete eine nur auf die Ausspähung Merkels begrenzte Ermittlung als unzureichend. Das Hauptdelikt sei die massenhafte Ausspähung der Bürger. Deshalb müsse es auch deswegen Ermittlungen geben.

In einem NDR Info Interview hat Hans Leyendecker aus dem Ressort "Investigative Recherche" der "Süddeutschen Zeitung" Fragen zu dem Themenkomplex beantwortet, noch bevor Generalbundesanwalt Range im Rechtsauschuss Stellung nahm:

Hans Leyendecker © dpa picture alliance Foto: Marcus Brandt
Hans Leyendecker leitet das Ressort "Investigative Recherche" der "Süddeutschen Zeitung".

NDR Info: Herr Leyendecker, als vor einer Woche bekannt wurde, dass Generalbundesanwalt Range kein formelles Verfahren eröffnen wolle, reagierte vor allem die Opposition in Berlin mit Unverständnis und Kritik. Nun hat Range nach Ihren Informationen doch Ermittlungen wegen des abgehörten Handys von Kanzlerin Merkel eingeleitet. Warum diese Kehrtwende?

Hans Leyendecker: Ich glaube, es war auch ein bisschen der Sturm der Empörung, den es gegeben hat. Es hat ja niemand verstanden, dass es ja eine Straftat mit Sicherheit gibt, nämlich die Straftat, dass die Kanzlerin ausspioniert wurde. Karlsruhe, die Fachabteilung, sagt - das ist bis zuletzt so geblieben: "Das ist keine Straftat, bei der am Ende etwas herauskommen wird bei den Ermittlungen. Das wären nur symbolhafte Ermittlungen, das machen wir nicht." Das hat niemand verstanden und ich glaube, da hat es dann auch die Kehrtwende des Bundesanwalts gegeben, der auf der einen Seite seine Fachabteilung nicht verprellen wollte, aber auf der anderen Seite dann auch gesehen hat, dass der Öffentlichkeit das auch nicht mehr vermittelbar ist.

NDR Info: Noch vor einer Woche hatte Range aber gesagt, es sei nicht möglich an Beweise zu kommen, es fehle an belastbaren Dokumenten und Zeugen. Wie erfolgversprechend sind denn jetzt diese eingeleiteten Ermittlungen?

Leyendecker: Also, aus Sicht der Karlsruher sind sie nicht sehr erfolgversprechend. Daran hat sich nichts geändert. Er hat ja praktisch nur einen Satz geändert: Er hat einen Einleitungsvermerk gemacht und gesagt, jetzt gibt es tatsächlich zureichende Anhaltspunkte. Vorher wurden die nicht gesehen. Also, an dem Material hat sich nichts geändert. Aber man macht jetzt etwas, was man machen muss. Man muss Zeugen befragen, man muss Behörden befragen, man muss auch, glaube ich, Rechtshilfeersuchen stellen, und man muss Druck auf die USA ausüben, das auch einmal zu beantworten.

NDR Info: Wenn man diese Beweise haben will, muss dann nicht doch Edward Snowden, der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter, wie von der Opposition gefordert, in Deutschland aussagen?

Leyendecker: Ja, eigentlich ist es ein Skandal, dass das nicht passiert. Also, man drückt sich da darum, den Kronzeugen für das alles - der die Papiere besorgt hat, der die Wege kennt - den ordentlich zu befragen. Man sagt, man will das in Moskau machen. Es weiß jeder, Snowden will nicht in Moskau bleiben. Er will auch dieses wackelige Asyl verlassen, und es gibt offenbar bislang kein Land, das ihm Schutz geben will, weil man einfach den Zorn der USA fürchtet. Das ist für dieses Verfahren schädlich, das ist aber auch für das Ansehen der Bundesrepublik schädlich.

NDR Info: Was denken Sie denn? Wie wird sich die Bundesregierung jetzt verhalten, die ja eine Aussage Snowdens in Deutschland nicht will?

Leyendecker: Daran wird sich nichts ändern. Also, man wird sagen: Über seinen Anwalt kann er ja mitteilen, das hat man schon vorher versucht, was er alles weiß. Man wird, das gilt hier für den Untersuchungsausschuss, noch einmal den Versuch machen, ihn in Moskau zu befragen. Es ist aber erkennbar, dass Snowden dieses Verfahren so nicht möchte, sondern dass er tatsächlich dann in Deutschland aussagen möchte, sowohl vor dem Untersuchungsausschuss, als auch vor der Bundesanwaltschaft, als eine Art Kronzeuge. Ich glaube aber nicht, dass es dazu kommen wird.

NDR Info: Es heißt ja, es werde keine Ermittlungen geben wegen der massenhaften Lauschangriffe von Internetnutzern in Deutschland. Warum eigentlich nicht?

Leyendecker: Gut, da wird der Bundesgeneralanwalt heute sagen: Da haben wir bisher keine zureichenden Tatsachen für konkrete Straftaten gefunden. Man weiß, dass Millionen Deutsche ausgespäht wurden. Man hat das Bundesamt für Verfassungsschutz gefragt, wie das denn passiert ist. Es ist für Gefahrenabwehr zuständig, versteht sich aber als bester Freund der Amerikaner. Die haben gesagt, das können wir leider nicht feststellen. Das heißt, wir haben hier Abwehrbehörden, die schon in der ersten Sekunde sagen: Nein, da kommt nichts bei raus, wenn es gegen bestimmte Verdächtige geht. Also, die bisherige These ist: Kann ja auch von außerhalb erfolgt sein, also von Großbritannien oder den USA, dass die Deutschen ausgespäht wurden. Bislang gibt es aber nichts Konkretes, was daraufhin weist, dass es in Deutschland passiert ist. Also keine Straftat.

Das Interview - hier zum Nachhören - führte Liane Koßmann, NDR Info

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 04.06.2014 | 07:08 Uhr

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