Stand: 16.12.2013 16:35 Uhr

NSU: Und immer wieder Hannover

von Andrea Röpke

Böhnhardt lernt Hannover kennen

NSU-Terroristen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Urlaub © BKA
Die NSU-Terroristen konnten dank ihrer Unterstützer unbehelligt durch Deutschland reisen - auch in den Campingurlaub.

Uwe Böhnhardt wohnte eine Woche lang bei ihm, lernte Hannover kennen und wohl auch die neuen Kameraden. Beate Zschäpe reiste im selben Jahr mit Jenaer Skinheads ins damals größte Neonazi-Schulungszentrum Hetendorf Nr. 13 in die Lüneburger Heide. Etwa zeitgleich lernte Holger G. einen der mutmaßlich wichtigen Verbindungsleute zu "Blood & Honour" in Niedersachsen kennen: Alexander S.. Dessen spätere Ehefrau ermöglichte mit dem Verkauf ihrer AOK-Krankenkassenkarte an G., dass Beate Zschäpe eine weitere legale Identität im Untergrund erhielt. Fortan nutzte die Hauptangeklagte auch den Namen Silvia R. aus Hannover.

Deren Freund war bereits eine Szene-Größe als Holger G. nach Hannover zog. Bei der Polizei in Niedersachsen galt der Skin, genannt "Bäbie", als äußerst gewaltbereit mit einer "ausgeprägten fremdenfeindlichen Einstellung". Auf sein Konten gingen bereits Jugendarreste wegen Körperverletzung und Falschaussage vor der Polizei. G. machte den neuen Kameraden mit Ralf Wohlleben in Jena bekannt, gemeinsam feierten sie dort Geburtstag.

Ein Loblied auf das Nazi-Trio

Dass sich nicht nur zwei militante Strukturen näher kamen, sondern auch Hannoveraner Kameraden vom Verbleib der Jenaer Freunde erfahren haben könnten, spielte im NSU-Prozess bisher kaum eine Rolle. Gegen Gs. Freund S. wurde 2000 wegen der Bildung einer bewaffneten Gruppe ermittelt, weil er sich einem wütenden "Blood & Honour"-Mob in Hannover angeschlossen hatte, der mit Baseballschlägern, Stahlruten und Messern bewaffnet, einen in Northeim verprügelten Anführer rächen wollte.

G. selber besuchte 1999 ein besonderes Konzert nahe Hildesheim: Das schwarze Banner mit der Aufschrift "Blood & Honour Niedersachsen" zierte den Festsaal. Ein internes Video zeigt, wie der Thüringer Neonazi mit wildem Geklatsche begeistert das Jenaer Duo "Eichenlaub" auf der Bühne begrüßte. Die beiden Liedermacher von "Eichenlaub" sangen ein Lied als Hommage an das untergetauchte Trio. Im Text hieß es: "Die Polizei kam euch auf die Spur. Nun heißt es Abschied, für wie lange nur?" Und dennoch soll niemand im Umfeld von Holger G. in Niedersachsen etwas gewusst haben? Vieles spricht dagegen, auch die Tatsache, dass sich Beate Zschäpe auf ihrer Flucht nach dem Tod ihrer beiden engsten Mitstreiter 2011 ausgerechnet nach Hannover begab und sich dort neun Stunden lang aufhielt.

Gemeinsame Party zu Silvester

Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln © dpa Foto: Oliver Berg
Das Bundesamt für Verfassungsschutz verlor die Unterstützer aus den Augen

Etwa 2005, als die AOK-Krankenkassenkarte von Hannover nach Zwickau wechselte, zog sich Holger G. aus der Öffentlichkeit zurück, beteiligte sich nicht mehr wie zuvor an einem Aufmarsch in Braunschweig oder an einem Übergriff gegen die Antifa wie in Stadthagen. Auch S. und Z. verschwanden von der Bildfläche - und aus den Augen des Verfassungsschutzes. Holger G. traf sich indes weiter mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Gemeinsam fuhren sie offenbar in den Urlaub an die Ostsee, brachten dem Freund Kuchen mit oder spielten Billard in niedersächsischen Kneipen. Das Trio spionierte Migranteneinrichtungen in Braunschweig sowie ein SPD-Büro in Salzgitter aus, Pläne davon wurden später gefunden.

Parallel dazu hielt G. den Kontakt zur gewaltbereiten Szene in Hannover. Wenige Tage vor seiner Verhaftung besuchte er den Prozess gegen den Anführer der mittlerweile verbotenen rechtsextremen Gruppierung "Besseres Hannover", mit dem er "freundschaftlich" verbunden sei. 2006 feierten G. und S. offenbar gemeinsam im Laden eines bekannten Szene-Tätowierers Silvester.

Hat Verfassungsschutz eigene Ermittlungsergebnisse vergessen?

Für den Verfassungsschutz in Hannover galt Holger G. höchstens als "Randfigur". Dabei war er es, dem das Neonazi-Trio die Tarnung im Untergrund maßgeblich verdankte. Er gab Pass und Führerschein, lieh Geld und brachte als Kurier 2001 oder 2002 eine Waffe ins Versteck nach Zwickau. Die Waffe hatte G. vom ebenfalls in Niedersachsen observierten Wohlleben erhalten. Doch das Beobachtungsprotokoll von 1999 war ebenso wie die Kontaktleute von "Blood & Honour" in Vergessenheit geraten.

Ein Mann trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "My blood is my honor". © Monitorex
Ein "Blood & Honour"-Sympathisant bei einer Neonazi-Veranstaltung in Niedersachsen.

Dabei spielte diese Organisation genau in dieser Zeit innerhalb der radikalen Szene eine wichtige Rolle. In deren unter dem Ladentisch gehandelten, brutalen "Kriegsberichter"-Videos gab es Mordaufrufe, Bombenbau-Anleitungen und Schießübungen mit Kalaschnikows. Ermittler einer "Soko Viking" der Polizeidirektion Hannover hatten bereits 1997 in einem geheimen Zwischenbericht vermerkt, die "Blood & Honour"-Bewegung sei "darauf ausgerichtet", sogenannte Kampfkolonnen weltweit zu organisieren und zu fremdenfeindlichen Straftaten "aufzustacheln".

Beamten in Zivil fahren Zeugen zum "Bierchen trinken"

Holger G. beteuert heute, trotz Waffenlieferung von den Morden des NSU nichts gewusst zu haben. Der 39-Jährige scheint auch die Freunde in Hannover zu decken, keiner habe das Trio gekannt. Als Silvia R., heute S., im NSU-Prozess im November 2013 aussagte, war G. sichtlich aufgeregt. Die 33-Jährige vermittelte in ihrer fünfstündigen Vernehmung durch den Senat des Oberlandesgerichts immer wieder den Eindruck, sie habe Instruktionen erhalten. Stockend erzählte sie dann nebenher von einem Vorfall im Sommer 2012, der verblüffte. Demnach habe G. ihren Ehemann auf dem Handy angerufen und gefragt, ob man gemeinsam ein "Bierchen" trinken wolle.

Die Verabredung, von der die junge Frau im Saal berichtete, habe im "Seehaus" in Isernhagen bei Hannover stattgefunden. Dann erinnert sie sich an die beiden Beamten in Zivil, die ihn brachten, aber während des Treffens draußen blieben. Eine brisante Aussage, denn G. befindet sich seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in Obhut des BKA. "Ich bin geschockt. Mir war nicht bekannt, dass ein Angeklagter im Zeugenschutzprogramm derartig heikle Treffen veranstalten kann", empört sich Nebenklage-Vertreter Yavuz Narin und erklärt, es bestehe Verdunklungsgefahr, wenn sich Zeugen absprächen.

Während sich Ralf Wohlleben seit zwei Jahren in Untersuchungshaft befindet, tummelt sich Holger G. als "Holli Schulze" bei Facebook. Zu seinen Freunden zählen eine Neonazi-Frau aus Niedersachsen und Szene-Sympathisanten, darunter zumindest vorübergehend ein Mann namens "Manny" aus Lauenau, der sich auch mal ganz offen mit einem "Combat 18 Actionsgroup"-Shirt zeigt. Ein Foto von sich hat Holger G. auch gepostet: Es zeigt ihn mit seiner Lebensgefährtin - als sei nichts gewesen.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 04.04.2013 | 21:45 Uhr

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Rechtsextremismus

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