"Liebe": Einer der letzten Filme mit Jean-Louis Trintignant
Am 17. Juni 2022 ist Schauspieler Jean-Louis Trintignant mit 91 Jahren gestorben. In "Amour" ("Liebe") verkörperte er 2012 für Michael Haneke bewegend einen alternden Professor, der seine Frau pflegt.
Im Drama des Österreichers Michael Haneke, das bei den Filmfestspielen Cannes 2012 die Goldene Palme holte, leben Anne und Georges, beide um die 80, in Paris. Ihr Leben war und ist noch immer die Musik. Als Anne nach einem Schlaganfall teils gelähmt ist und der Pflege bedarf, nimmt Georges dieses Schicksal liebevoll an.
Die Liebe in allen Dingen
"Ich habe als Kind oft gehört, wenn Ihr Euch geliebt habt, das hat mich beruhigt." Diese Äußerung der Tochter, gespielt von Isabelle Huppert, ist der einzige Moment, in dem das Wort Liebe ausgesprochen wird. Ansonsten kommt es in Michael Hanekes Kammerspiel "Liebe" kein einziges Mal vor. Aber die Geschichte einer großen Liebe steckt in jeder Ritze, im knarrenden Parkett, und in den Bücherregalen der großbürgerlichen Wohnung von Anne und Georges.
Diese Liebe muss gegen den Verfall bestehen: Der Abstieg beginnt ganz unerwartet, als Anne eines Morgens beim Frühstück nicht mehr ansprechbar ist - und nach wenigen Minuten wieder am Spülstein steht, als sei nichts gewesen. Auch erinnert sie sich an nichts.
"Amour" von Michael Haneke: Schicksalsschlag in der Nacht
Kurz darauf erleidet Anne einen Schlaganfall. Danach halbseitig gelähmt, muss Georges sie pflegen. Präzision, Komposition, Observation - das sind die Wörter, mit denen Michael Hanekes Kino immer wieder beschrieben wird.
Man möchte auch diesmal zu ihnen greifen und sie doch sofort wieder zurücklegen. Denn "Liebe" ist ein Film, der dort beginnt, wo die Sprache aufhört. Das liegt allein schon an den ausdrucksvollen Gesichtern der beiden großen französischen Darsteller Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant. Die beiden spielen dieses Paar mit einer Contenance, unter der immer wieder die Verzweiflung aufzuflackern scheint.
Und doch erlebt man auch die große Innigkeit einer mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Liebe: Georges bewundernder Blick auf seine Frau an dem Abend, als die beiden zum letzten Mal ausgehen. Die Handreichungen der Fürsorge, des Stützens und Fütterns. Die Ruhe seiner Bewegungen. Ihre zärtliche Neckerei am Frühstückstisch.
Anne scherzt: "Du bist ein Monster - manchmal." Auch Hanekes Film ist ein Monster, aber ein zärtliches. Weil er uns vorführt, wie eine Liebe der Monstrosität des Verfalls und des Todes trotzt.
Im Gefängnis der Endlichkeit
In früheren Filmen wirkte der österreichische Regisseur Michael Haneke oftmals wie ein Marionettenspieler, der seine Figuren an unsichtbaren Fäden in dunkle Ausweglosigkeit führte. In "Liebe" hingegen ergibt sich allein schon aus dem Thema eine andere Haltung: Haneke, der Marionettenmeister, lässt die Fäden fallen.
Gemeinsam mit seiner Kamera tritt er einen Schritt zurück und scheint sich plötzlich mit den Figuren in einem anderen, größeren Gefängnis zu befinden: Der Endlichkeit der menschlichen Existenz. Auch die Klaviermusik, die Georges und Anne, die ehemalige Klavierprofessorin immer wieder hören, vermag da keinen Trost mehr zu bieten.
Behutsamer Begleiter auf schwerem Weg
In "Liebe" ist die Zwangsläufigkeit des Abstieges - Verfall, Sterben, Tod - immer schon im Bild. Also gilt es, Anne und Georges mit größtmöglicher Behutsamkeit auf ihrem Weg zu folgen. Diese Verbindung von härtester Nüchternheit und Empfindsamkeit hat es im Kino so noch nicht gegeben.
Dass die tiefe Liebe dieser beiden Menschen in Hanekes Bildern genauso Platz hat wie die Erinnerungen, Zweifel, Ängste, mit denen jeder Zuschauer dem schweren Thema begegnen mag, macht die überragende Größe dieses Films aus.