Stand: 25.09.2014 13:50 Uhr

Einfach losziehen, die Welt erobern

von Jette Studier

Wie war die Abfertigung da?

Schulz-Zachow: Ich weiß gar nicht mehr so viel. Es ging so schnell. Wir waren halt ganz vorne an der Grenze und sind rübergefahren. Dort wurden wir empfangen, unsere Ausweise kopiert und wir haben eine kleine Tüte mit Essen bekommen. Aber wir sind dann relativ schnell weiter in Richtung Wien. Dort waren wir dann und haben uns ein bisschen die Stadt angeschaut - aber nur für eine oder zwei Stunden. Wir hatten ja das Ziel Hamburg. Deswegen wollten wir erstmal zur deutschen Grenze. Bei Passau gab es das erste Auffanglager für DDR-Flüchtlinge. Dort haben wir eine Nacht geschlafen und auch ein bisschen Geld bekommen. Danach ging es gleich weiter nach Hamburg. 

Das war also die erste Fahrt quer durch Westdeutschland?

Schulz-Zachow: Das war ungewöhnlich, wie schnell die Autos im Rückspiegel größer wurden. Das kannten wir aus der DDR nicht, weil unsere Autos ja nicht so schnell fuhren. Die Fahrt war unvergesslich für uns, weil alle Autofahrer uns den Daumen gezeigt haben und uns begrüßt haben. Ob beim Überholvorgang oder auf der Raststätte, überall haben sie uns angesprochen und sich gefreut, dass es jetzt losgeht.

Wie wurden Sie in Hamburg begrüßt?

Hagen Schulz-Zachow 1989 in Hamburg
In Hamburg ist man auf die Flüchtlinge vorbereitet: Sie landen auf einem Campingplatz in Schnelsen.

Schulz-Zachow: In Hamburg wussten wir erst mal nicht wohin. Ich glaube die Leute in Passau haben uns gesagt, dass wir zum Bahnhof fahren sollen. Dann sind wir nach Altona gefahren und haben uns dort bei der Bahnhofspolizei gemeldet. Und die wussten schon, wohin mit uns. Dann haben sie uns per Eskorte nach Hamburg-Schnelsen zu einem Campingplatz gefahren. Da stellte sich dann raus, dass wir Nummer acht und neun waren und die ersten, die mit einem Auto kamen. Wir haben einen wunderschönen Wohnwagen bekommen und uns für ein paar Wochen quasi eingenistet.

Haben Sie in Hamburg gleich wieder Musik gemacht?

Schulz-Zachow: Nein, wir hatten ja kein Musikinstrument dabei. Aber auf dem Zeltplatz waren so viele Besucher - vor allem bei uns - weil wir diesen gelben Wagen - den Moskwitsch - hatten. So haben wir schnell einen Musiker kennengelernt. Der hat uns gleich eingeladen, Musik zu machen. Das hat keine Woche gedauert. Der Musiker ist übrigens ein guter Kumpel von uns geworden.

Und wie ging es mit der Musikerkarriere im Westen weiter?

Schulz-Zachow: Ich habe mich relativ schnell bei Orchestern beworben. Das hat alles nicht geklappt. Ich war auch echt nicht drauf vorbereitet, dass bis zu 60 Leute auf eine Stelle vorspielten. Ich habe dann in einer Jazzband angefangen und mich relativ schnell selbständig gemacht. Und als die Grenze offen war, bin ich auch wieder nach Schwerin gefahren, habe dort in einer Band gespielt. Ein paar Jahre später hat mich dann ein Freund gefragt, ob ich als Keyboarder bei Das Auge Gottes mitmachen will. Die hatten ja immerhin schon einen Plattendeal. Das war dann Rock'n'Roll, mit Tourneen, Festivals und als Vorband für große Künstler. Aber 1998 haben wir uns aufgelöst und ich bin etwas ruhiger geworden. Heute arbeite ich als Produzent und spiele nebenbei in einem Gitarren-Duo.

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 25.09.2014 | 19:30 Uhr

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