Eisenbahnwaggons auf Deck des Fährschiffes Mukran im Fährhafen von Mukran bei Sassnitz auf der Insel Rügen, aufgenommen im Oktober 1986. Als für die DDR wichtige direkte Verbindung in die UdSSR wurde hier der Eisenbahn-Fährbetrieb zwischen Mukran (DDR) und Kleipeda (UdSSR) aufgenommen. © picture alliance / ZB / Zentralbild

Als Rügen mit Mukran einen neuen Fährhafen bekam

Stand: 02.10.2021 21:56 Uhr

Am 2. Oktober 1986 hat der Fährhafen Sassnitz-Mukran im Nordosten der Insel Rügen den Betrieb aufgenommen. Er sollte die DDR und die Sowjetunion enger verbinden. Doch mit dem Ende der DDR musste sich auch der Hafen neu erfinden.

von Henning Strüber

Mit der Fährverbindung Mukran-Klaipėda stellte das Prestige-Projekt ab 1986 eine direkte Seeverbindung zwischen den sozialistischen Bruderstaaten DDR und Sowjetunion her. Eine solche sparte Transitgebühren in Millionenhöhe für den langsamen Eisenbahntransport durch Polen. Und: Seit dem Erstarken der dortigen Solidarność-Bewegung hegten Moskau und Ost-Berlin zunehmend Zweifel an der Verlässlichkeit des Bündnispartners. Bis Ende der 1980er-Jahre herrschte an den Ladebrücken in Mukran zunächst Hochbetrieb. Doch die Geschichte des Mukraner Hafens ist so von der DDR, ihrem Niedergang und den politischen Umbrüchen Ende des 20. Jahrhunderts geprägt, dass sich mit ihnen auch das Gesicht des Hafens verändert hat.

Ein Fischerdorf wird Großbaustelle

Der Stralsunder Jürgen Grieger hat sich 2016 anlässlich des 30. Hafengeburtstags im Gespräch mit dem NDR erinnert, wie es 1982 losging. Grieger war damals im Baumontagekombinat Greifswald beschäftigt. Er baute am Kernkraftwerk in Lubmin mit und war auf Großbaustellen im Rostocker Überseehafen. In Mukran war Grieger für die Versorgung mit Baumaterial zuständig. Und das kleine Fischerdörfchen verwandelte sich in eine gigantische Baustelle: Das Ufer wurde planiert, Hafenbecken ausgebaggert, Molen angelegt, Gebäude hochgezogen, sogar eine eigene Feuerwehr gab es.

"In der Hochzeit haben wir mit 3.200 Beschäftigten in Mukran gearbeitet", so Grieger. Täglich wurden die Arbeiter mit 30 Bussen und acht Zügen angekarrt. Denn schon im Oktober 1986 sollte der Fährhafen in Betrieb genommen werden. "Das war eine große Herausforderung." Zwei harte Winter machten den Bautrupps zu schaffen, immer wieder mangelte es an Zement, "manchmal konnten die Baufahrzeuge nicht betankt werden, weil kein Diesel da war."

Mukran wird Baustelle "deutsch-sowjetischer Freundschaft"

Die Baustelle des Fährhafens Mukran. © Verein 100 Jahre Königslinie Foto: Unger/Dobbert/Schaack
Mit großem Aufwand wurde der Fährhafen in nur viereinhalb Jahren Bauzeit aus dem Boden gestampft.

Sonntags sei er mit seinen drei Söhnen am Kontrollposten vorbei auf die Baustelle gefahren und habe Steine gegen die Silobehälter geworfen, so Grieger - um zu kontrollieren, ob genügend Zement im Zulauf ist. "Wir hatten ja keine Füllstandsanzeige." Doch trotz all des Unbills wurde das Arbeiter-Kollektiv aus NVA-Soldaten, FDJ-Mitgliedern, sowjetischen Spezialisten sowie "Spatensoldaten" aus Prora - es wurde später mit dem Ehrentitel "Großbaustelle der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ ausgezeichnet - doch noch pünktlich fertig: Am 2. Oktober 1986 lief das Fährschiff "Mukran" erstmals im neuen Fährterminal ein. Ein "Beweis der Leistungskraft des Sozialismus", wie die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" jubelte. Der Hafen kostete zwei Milliarden Mark - und brachte 2.500 Menschen Arbeit.

Von Rügen nach Klaipėda und zurück in 48 Stunden

Tatsächlich galt die Linie von Rügen nach Klaipėda (heute Litauen) Ende der 1980er-Jahre als eine der leistungsstärksten der Welt. Dafür sorgten nicht zuletzt die fünf eigens auf der Mathias-Thesen-Werft in Wismar gebauten und 190 Meter langen Eisenbahnfähren - es sind die größten, die jemals in der DDR hergestellt wurden. Sie konnten 103 Güterwaggons transportieren, brauchten für die Strecke hin und zurück nur 48 Stunden und konnten die Ladung zügig löschen. Die DDR lieferte hauptsächlich Maschinen, Möbel und Papier. Bei ihrer Fahrt gen Westen waren die Schiffe dagegen häufig mit Eisen, Dünger und Holz beladen.

Doch für das größte Frachtaufkommen sorgte die auf rund 400.000 Soldaten und Zehntausende Panzer, Geschütze, Flugzeuge und Raketen angewachsene Militär-Präsenz der Sowjetarmee in der DDR. Auch im Kriegsfall wäre die Verbindung ein Trumpf: Unter Deck gab es geheime Truppen-Transporträume für 300 Soldaten, die Fähren hatten einen Doppelhüllenrumpf zum Schutz vor Torpedos. Auch über den Transport von Atomraketen gibt es Spekulationen.

Der "westlichste Haltepunkt der transsibirischen Eisenbahn"

Kesselwagen der russischen Breitspurbahn wird mit der Hubbockanlage im Fährhafen Sassnitz-Mukran auf Rügen angehoben. © imago stock&people Foto: Jens Koehler
In den Umspur- und Umachs-Anlagen zwischen Normal- und Breitspur wurden die Waggons angehoben und auf die jeweils passenden Drehgestelle gesetzt.

Drei Millionen Tonnen Güter wurden pro Jahr in die DDR gebracht, der Umschlag in die Sowjetunion blieb jedoch darunter. Das Herzstück des Fährhafens waren die Anlagen zum Umspuren und Umachsen der Güterwaggons vom europäischen Normalspur- auf das sowjetische Breitspur-Schienennetz, die Mukran den Beinamen "westlichster Haltepunkt der transsibirischen Eisenbahn" einbrachten. Um den Weitertransport solcher Gütermengen zu bewerkstelligen, wurden auf dem riesigen Areal rund 100 Kilometer Gleise verlegt. Doch noch bevor der Fährhafen seine Soll-Stärke erreichte, veränderte sich mit der Wende 1989 und den politischen Umwälzungen alles. Die als sechste Fähre geplante "Wismar" wurde gar nicht erst gebaut.

Abzug, Abschwung und Agenten-Stories

Historische Aufnahme (vom 05.10.1992) des Fährhafen von Mukran © imago stock&people Foto: Christian Thiel
In die DDR und nach der Wende wieder zurück: Über Mukran bewegte die Rote Armee viel militärisches Gerät.

In den frühen 1990er-Jahren sorgte der Abzug der Sowjettruppen aus der DDR noch einmal für Hochkonjunktur in Mukran. Ein großer Teil der Streitmacht und ihres Personals brach von Mukran aus in die alte Heimat und eine ungewisse Zukunft auf. Es dürfte das höchste Transportaufkommen gewesen sein, das der Fährhafen bis dato zu bewältigen hatte. Aus dieser Zeit rankt sich auch so manche Agenten-Story um den Hafen am äußersten Zipfel der DDR. Schon in den 1980er-Jahren hatten Agenten der westlichen Militärmission - unter argwöhnischen Blicken der zahlreichen dort stationierten Stasi-Mitarbeiter - dem geheimnisvoll hinter hohen Zäunen verborgenen Areal Spionage-Besuche abgestattet.

Doch auch nach der Wende tummelten sich dort noch die Schlapphüte, glaubt man etwa den Schilderungen des früheren BND-Agenten Norbert Juretzko. Demnach sollten Juretzko und Co. mehr über angebliche Atomsprengköpfe in Erfahrung bringen, die über Mukran nach Russland verschifft wurden. Dazu mussten die West-Agenten eine Box mit hochsensiblen Sensoren zur Analyse der Waffentechnologie im Gleisbett unter den Waggons mit der geheimen Fracht installieren. Doch wie an die gut bewachten und abgeschirmten Transporte gelangen? Juretzkos Berichten zufolge gelang der Coup mithilfe eines Bahnwärters in Samtens, der den geheimnisvollen Zug mit einem außerplanmäßig ausgelösten Haltsignal zum Stehen brachte - genau über der Spionage-Box.

Geplatzter Traum vom Tor zum Osten

In den Jahren danach nahm die Bedeutung des größten deutschen Eisenbahn-Fährhafens an der Ostsee stetig ab. Die Bahntransporte nach Russland und ins Baltikum wurden weniger. Zwar wurde 1995 ein neues Fährterminal gebaut, um den aus allen Nähten platzenden Stadthafen Sassnitz beim Passagiertransport nach Skandinavien zu entlasten, doch die Konkurrenz wuchs und Reedereien verlegten ihre Routen in andere Häfen wie etwa Stena Line nach Rostock. Der Umschlug von Gütern und Passagieren schrumpfte um mehr als die Hälfte. Der Traum vom Tor zum Osten und nach Skandinavien war erst einmal geplatzt.

Offshore-Boom an der Ostseeküste

Doch der Hafen erfand sich neu. Dafür steht nicht zuletzt der neue Name "Mukran Port". Die nötigen Impulse lieferte in den 2000er-Jahren der Energiesektor. "Die Gas-Pipeline war der erste Paukenschlag", sagt Grieger. Beim Bau der ersten Nord-Stream-Leitung, durch die sibirisches Erdgas am Ostseegrund vom russischen Ust-Luga nach Lubmin bei Greifswald strömt, erfüllte der Fährhafen eine wichtige Funktion als Landstützpunkt. In Mukran wurden in eigens errichteten Werken die Rohre für die zwei mehr als 1.200 Kilometer langen Leitungsstränge ummantelt und verschifft. Auch beim Bau von Nord Stream 2 spielte Mukran eine wichtige Rolle.

Seit einigen Jahren profitiert der Hafen zudem vom boomenden Offshore-Geschäft in der Ostsee. So wurde die Montage des Windparks "Baltic 2" von Mukran aus durchgeführt. Auch beim Bau der Windparks "Arkona" und "Wikinger" fungierte Mukran als Drehscheibe. Der Energiekonzern Iberdrola verlegte einen Wartungsstützpunkt nach Mukran, weitere Firmen siedelten sich auf dem Gelände an. Seit 2019 ist Sassnitz-Mukran zudem an die "Neue Seidenstraße" nach China angeschlossen, was dem Hafen schnell ein deutliches Umschlagsplus bescherte. Und eine Hafenbecken-Vertiefung soll dafür sorgen, dass künftig noch größere Frachtschiffe den Hafen anlaufen können.

Weitere Informationen
Bausoldat bei der NVA. © Robert-Havemann-Gesellschaft Foto: Berndt Püschel

Bausoldaten: Mit dem Spaten bei der Nationalen Volksarmee

Nach 1964 ist es in der DDR möglich, als Bausoldat den Dienst mit der Waffe zu verweigern. Wer das tut, hat keinen leichten Stand. mehr

Denkmal der Roten Armee auf dem Soldatenfriedhof in Neustrelitz. © picture-alliance/ ZB Foto: Bernd Wüstneck

Truppenabzug der Sowjetarmee

1994 ziehen die letzten russischen Truppen aus Mecklenburg-Vorpommern ab. Sie hinterlassen Soldatenfriedhöfe, Ehrenmale, Militärschrott und jede Menge Erinnerungen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 04.08.2021 | 13:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Zeitgeschichte

DDR

Offshore

Mehr Geschichte

Polizisten verschanzen sich hinter einem Polizeiauto. Männer stehen vor einem Im-und Exportgeschäft. © Staatsarchiv Hamburg Plankammer (720-1_388_00_79877_18)

Vor 50 Jahren fiel in Hamburg der erste finale Rettungsschuss

Ein Bankräuber nimmt heute vor 50 Jahren in Hamburg mehrere Geiseln. Als er nach draußen kommt, erschießen Polizisten den Mann gezielt. mehr

Norddeutsche Geschichte