Gustaf Gründgens: Der leibhaftige Mephisto

Stand: 08.10.2023 00:00 Uhr

Als Schauspieler, Regisseur und Intendant war Gustaf Gründgens legendär. Sein Verhalten in der NS-Zeit ist umstritten. Auf Hamburgs Bühnen begann und endete die Karriere von Gustaf Gründgens - dem leibhaftigen Mephisto. Am 7. Oktober 1963 starb er.

von Britta Probol

Kühl und ironisch umgarnt er den zweifelnden Dr. Faust, dämonisch blitzen die Augen in seinem schwarz-weiß geschminkten Antlitz: Gustaf Gründgens, am 22. Dezember 1899 geboren, ist der deutsche Mephisto. Mehr als 350 Mal spielt er den Teufel, der danach trachtet, Goethes verzweifelten Gelehrten in Versuchung zu führen. Es ist seine Paraderolle.

"Ich habe immer zu viel gearbeitet und vergessen zu leben. Jetzt will ich vor Toresschluss noch rasch lernen, wie man lebt", sagt Gründgens in seinem einzigen Fernsehinterview. Da ist er 63 Jahre alt und geht mit seinem Lebensgefährten auf Weltreise. Doch kurz darauf stirbt Gründgens am 7. Oktober 1963 an einer Überdosis Schlaftabletten in einem Hotel in der philippinischen Hauptstadt Manila. Selbstmord oder ein Versehen? Das kann nie geklärt werden.

Gustaf Gründgens als Mephisto mit Will Quadflieg als Faust, 1957. © picture-alliance/dpa Foto: Herold
AUDIO: Gustaf Gründgens: "Faust" und "Hamlet" zählen mehr als Ethik (15 Min)

Seine ersten und letzten großen Erfolge feiert er in Hamburg

Richtig durchstarten kann Gründgens mit seiner Theaterkarriere erst im Berlin der 1930er-Jahre, in der Hauptstadt Nazi-Deutschlands. Doch seine ersten und letzten großen Erfolge feiert der Schauspieler, Regisseur und Intendant in Hamburg. Die Grabstätte des gebürtigen Rheinländers, der in Düsseldorf aufwuchs, befindet sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof, nur wenige Schritte vom Haupteingang oberhalb der Cordesallee. Er ruht dort im Kreise anderer Theatergrößen, wie etwa Ida Ehre (1900-1989), die nach dem Zweiten Weltkrieg die Hamburger Kammerspiele zu neuem Leben erweckt hat.

Aus Gustav wird Gustaf

Jenes kleine Theater in der Hartungstraße ist zur Weimarer Zeit ein Zentrum des modernen Bühnenlebens in Deutschland. Hier stellt Gründgens - nach seiner Schauspielausbildung in Düsseldorf und kurzen Engagements in Halberstadt, Kiel und Berlin - 23-jährig seine Koffer ab, hier übernimmt er 1924 zum ersten Mal selbst die Regie. Und hier gibt er seinem Namen buchstäblich den letzten Schliff: Aus dem banalen Gustav wurde auf Prospekten für seine erste eigene Inszenierung der nach Höherem strebende Gustaf Gründgens, mit stolz emporragendem "f".

Skandalträchtige Inszenierungen mit den jungen Manns

Aufsehen erregt er in Hamburg unter anderem mit der Inszenierung von Klaus Manns erstem Bühnenwerk "Anja und Esther". Die Ankündigung "Dichterkinder spielen Theater" lockt 1925 Scharen in die Kammerspiele. Tatsächlich stehen der Thomas-Mann-Sprössling Klaus und dessen Schwester Erika mit Gründgens zusammen auf der Bühne. Die Kritik verreißt das Stück, die homoerotischen Anspielungen darin provozieren einen Skandal, doch immerhin erlangt Gründgens weit über die Stadtgrenzen hinaus Aufmerksamkeit. Auch privat bringt ihn die Inszenierung zunächst auf die Überholspur: Er heiratet im Sommer 1926 Erika Mann - obwohl beide homosexuell sind. Nach schlechten Kritiken für Gründgens' zweite Mann-Inszenierung wird seine Beziehung zu Klaus und Erika jedoch zunehmend verfahren. Die Ehe hält nicht einmal drei Jahre.

Berlin: "Wie nach dem Abitur zurück in die Sexta"

1928 verlässt Gründgens Hamburg, um Hauptstadtluft zu schnuppern. Dort dominiert Max Reinhardt die Theaterlandschaft, und der Mann "aus der Provinz" ist ein Niemand. Nach den Hamburger Erfolgen sei Berlin wie eine Versetzung "nach dem Abitur zurück in die Sexta" gewesen, bemerkt Gründgens rückblickend. Doch mit seinem Ehrgeiz erlangt er bald wieder große Engagements, darf die von ihm so geliebte Rolle des Hamlet spielen und steht schließlich, in der Saison 1932/33, als Goethes Mephistopheles auf der Bühne des Staatstheaters am Gendarmenmarkt. Hier sieht ihn der einflussreiche NS-Mann Hermann Göring - und ist begeistert.

Gustaf Gründgens: Kniefall vor den Nationalsozialisten

Gustaf Gründgens mit Pfeife in der Hand. © KPA
Gustaf Gründgens in den 30er-Jahren.

Von nun an hält der Nationalsozialist seine schützende Hand über Gründgens. Und nicht nur das: Göring bietet ihm 1934 die Intendantur des Preußischen Staatstheaters an. Gründgens akzeptiert. Manche - gerade Literaten aus dem Exil - werfen dem Theatermann deshalb vor, der eigenen Karriere wegen "mit dem nationalsozialistischen Ungeist kollaboriert" zu haben. Klaus Mann schmäht Gründgens 1936 durch seinen Schlüsselroman "Mephisto" als gewissenlosen Mitläufer.

Weggefährten und Biografen sind sich weitgehend einig, dass Gründgens kein politischer Mensch war: Wenn, dann habe sein Herz eher links geschlagen. Bei Göring setzt Gründgens beispielsweise durch, dass jüdische und der SPD nahestehende Ensemblemitglieder Schutzbriefe erhalten, damit sie bei SS-Razzien sicher sind. Aus seiner Homosexualität macht er seinem obersten Dienstherren gegenüber keinen Hehl, heiratet aber dennoch 1936 die Schauspielerin Marianne Hoppe. Bis zum Ende des Dritten Reichs währt diese Zweckehe.

Gründgens selbst behauptet immer, er habe die Kunst schützen wollen gegen die Politik. Auf den Spielplan setzt er bis zum Theaterschließungsbefehl Klassiker, und zwar in werktreuer Auslegung. Gründgens' Credo: "Der Zuschauer soll verstehen, was der Schauspieler sagt. Der Schauspieler soll verstehen, was der Dichter sagt. Und der Dichter soll verstehen, was er selber sagt."

Wiederaufbau in Berlin und Düsseldorf

Nach freiwilligem Kriegseinsatz in Holland, neun Monaten Lagerhaft in der Sowjetunion kehrt Gründgens 1947 zurück auf die Bretter, die ihm alles bedeuten. Sein erstes Erscheinen auf der Bühne im Deutschen Theater im Osten Berlins wird mit frenetischem Applaus gefeiert. Dennoch geht er noch im selben Jahr in seine alte Heimat Düsseldorf zurück. Acht Jahre lang ist er dort Generalintendant, zunächst der Städtischen Bühnen, dann des Düsseldorfer Schauspielhauses, und prägt den kulturellen Wiederaufbau entscheidend mit.

Maßstabsetzende Ära am Hamburger Schauspielhaus

Gustaf Gründgens als Mephisto mit Will Quadflieg als Faust, 1957. © picture-alliance/dpa Foto: Herold
Legendäre Inszenierung: Gründgens als Mephisto und Will Quadflieg als Faust 1957.

1955 schließlich folgt Gustaf Gründgens erneut einem Ruf nach Hamburg. Diesmal nicht an die Kammerspiele, die Ida Ehre inzwischen zu einer führenden Bühne gemacht hat, sondern ans Deutsche Schauspielhaus. Unter ihm als Generalintendant und Künstlerischer Leiter erlebt das Theater an der Kirchenallee eine goldene Ära mit international beachteten Aufführungen moderner Theaterliteratur und umjubelten Klassiker-Inszenierungen. Sein "Faust I" von 1957 schreibt als "Hamburger Faust" Theatergeschichte. Gründgens holt bedeutende Namen ins Ensemble, darunter Elisabeth Flickenschildt und Will Quadflieg. Trotz aller Erfolge aber verabschiedet sich Gründgens im Herbst 1963 überraschend aus der Intendanz: Er brauche Abwechslung. Kurz darauf, in der Nacht zum 7. Oktober 1963, stirbt er.

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Gustaf Gründgens in einer Theaterrolle, rauchend (vor 1963)
7 Min

Reaktionen zum Tode von Gustaf Gründgens

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Noch heute läuft Gründgens' "Hamburger Faust", den er 1960 für den Film adaptiert hatte, gelegentlich im Kino oder Fernsehen. Gründgens selbst spielt darin seine Paraderolle, den Mephisto - in der schwarz-weißen Maske, die sich seit den 1930er-Jahren nicht verändert hat.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 08.10.2023 | 19:30 Uhr

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