Ernst Rowohlt hält einen Rowohlt-Rotations-Roman in den Händen. © picture-alliance/dpa

Bücher für jedermann: Rowohlts Leben für die Literatur

Stand: 27.03.2021 06:00 Uhr

Günstige Bücher für alle: Im Nachkriegs-Deutschland bringt Ernst Rowohlt in Hamburg die ersten Taschenbücher auf den Markt. Am 27. März 1946 konnte er dort mit britischer Lizenz den neuen Rowohlt Verlag eröffnen. Ein Porträt.

von Vivienne Schumacher

Ernst Rowohlt, am 23. Juni 1887 in Bremen geboren, ist gerade mal 21 Jahre alt, als er in Leipzig, dem damaligen Zentrum des Buchhandels, einen Gedichtband herausbringt - ohne Geld und auf eigenes Risiko. Zurückgreifen kann er lediglich auf seine Lehrzeit in einer Leipziger Druckerei sowie in Buchhandlungen in München und Paris. Der Gedichtband "Lieder der Sommernächte" von seinem Schulfreund Gustav C. Edzard erscheint 1908. Ein Jahr später folgt "Katerpoesie" von Paul Scheerbart. Zu diesem Zeitpunkt hat der junge Rowohlt weder eine Verlagsadresse noch einen Eintrag im Handelsregister.

Rowohlts kurze Zeit im ersten Verlag in Leipzig

Dies ändert sich 1910. Ernst Rowohlt lernt Kurt Wolff kennen, der Geld in den Verlag investiert und später Rowohlts Mitverleger wird. Gemeinsam geben sie zahlreiche Bücher heraus. Schnell zeigt sich, dass Rowohlt ein Gespür für talentierte Dichter hat. Er entdeckt unter anderem den gleichaltrigen Georg Heym und verlegt die ersten Werke Franz Kafkas sowie das prominente Kinderbuch "Peterchens Mondfahrt" von Gerdt von Bassewitz. Doch dann gibt es heftige Auseinandersetzungen zwischen Rowohlt und seinem Teilhaber Kurt Wolff. Ernst Rowohlt verlässt 1912 den Verlag und arbeitet als Prokurist beim S. Fischer Verlag und im Hyperion Verlag in Berlin.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 meldet sich Ernst Rowohlt freiwillig zur Armee, lässt sich zum Fliegerpiloten ausbilden und bleibt bis Ende 1918 Soldat.

Der zweite Verlag - Erfolge, Emigration und Rückkehr

Kurt Tucholsky © akg-images
Auch Kurt Tucholsky gehörte zu den Rowohlt-Autoren. Er starb 1935 in der Emigration.

Mit militärischen Medaillen im Gepäck kehrt Rowohlt nach Berlin zurück und gründet Anfang 1919, finanziell unterstützt von Leipziger Bekannten, seinen zweiten Verlag. Seine Geselligkeit und sein Gespür für Bestseller-Autoren verhelfen ihm zum Erfolg. Er publiziert unter anderem Werke von Robert Musil, Walter Benjamin, Kurt Tucholsky, Hans Fallada und Joachim Ringelnatz. Auch Wochenzeitschriften wie "Die Literarische Welt" und das linksintellektuelle Wochenblatt "Das Tage-Buch" bringt er heraus.

1928 entdeckt Rowohlt die zeitgenössische Literatur aus den USA. Als einer der ersten übersetzt der Rowohlt-Verlag Bücher von Sinclair Lewis, Ernest Hemingway, Thomas Wolfe und William Faulkner. Ab 1931 unterstützt ihn sein Sohn Heinrich Maria Ledig - damals hat Rowohlt den 1908 außerehelich geborenen Sohn noch nicht offiziell als leiblichen Nachkommen anerkannt, später wird er sein Nachfolger.

Ebenfalls 1931 gerät Rowohlt in finanzielle Not. Seine Hausbank geht Konkurs und er muss zwei Drittel seines Geschäfts an Ullstein verkaufen. 1932 bringt Rowohlt jedoch einen Weltbestseller heraus: "Kleiner Mann - was nun?" von Hans Fallada. Der Verlag schreibt wieder schwarze Zahlen.

Ernst Rowohlt: Lebensdaten kompakt

* 23.06.1887 in Bremen

Publizieren im Dritten Reich und Emigration

Kurz nach der NS-Machtübernahme 1933 verbieten die Nationalsozialisten 50 Prozent der Rowohlt-Publikationen. Sie lassen 46 Werke beschlagnahmen und verbrennen - darunter Bücher jüdischer Autoren wie Emil Ludwig und Werke von Regime-Gegnern wie Kurt Tucholsky und Ernest Hemingway, die sich offen gegen die Diktatur ausgesprochen haben.

Obwohl Rowohlt 1937 in die NSDAP eintritt, bewahrt ihn dieser Schritt nicht davor, dass ihn die Nazis ein Jahr später aus der Reichsschrifttumskammer ausschließen und ihm damit ein Berufsverbot erteilen. Grund: "Tarnung jüdischer Schriftsteller". So publizierte Rowohlt die Biografie "Adalbert Stifter" des jüdischen Schriftstellers Bruno Adler unter einem Pseudonym. Auch an seiner jüdischen Sekretärin und seinem jüdischen Lektor Paul Mayer hält er fest. 1938 packt Rowohlt seine Koffer und emigriert nach Brasilien, zu der Familie seiner dritten Frau. Sein Sohn Heinrich Maria Ledig führt den Verlag weiter.

Zurück ins Hitler-Deutschland

Ende 1940 - im zweiten Kriegsjahr - kehrt Ernst Rowohlt plötzlich "heim ins Reich". Zwei Monate später, im Februar 1941, geht er als Hauptmann der Wehrmacht zuerst nach Griechenland und später an die Kaukasus-Front.

"Meine Rückkehr nach Deutschland erfolgte aus dem Gefühl heraus, dass ich, wenn ich überhaupt als leidenschaftlicher Verleger in Deutschland nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches mich betätigen wollte, den Kontakt mit dem deutschen Volke auch in dem größten Elend wieder aufzunehmen hätte", wird er später sagen. Welche Motive ihn tatsächlich bewegten, darüber lässt sich heute nur spekulieren. Im Juni 1943 wird Ernst Rowohlt aus der Wehrmacht entlassen: wegen "politischer Unzuverlässigkeit". Zur selben Zeit schließen die Nazis den Verlag.

Der dritte Verlag - mit Lizenz der Militärregierung

Ernst Rowohlt © picture-alliance / akg-images Foto: Ingeborg Boysen
"Gute Literatur braucht keinen teuren Einband", soll Ernst Rowohlt einmal gesagt haben. Seine Taschenbücher veränderten den Buchmarkt.

Schon im Herbst 1945 erhält Heinrich Maria Ledig von den US-Amerikanern die Lizenz zur Wiedereröffnung des Geschäfts in Stuttgart. Ernst Rowohlt zieht es jedoch nach Hamburg: Seines Erachtens würde die Hansestadt in einem neuen Deutschland ein kulturelles Zentrum sein. Mit Lizenz der britischen Militärregierung zur Verlagsgründung eröffnet er am 27. März 1946 eröffnet er seinen Verlag an der Elbe. Zunächst kommt das Unternehmen im Broschkehaus unter, im Juli bezieht der Verlag eigene Räume in der Rathausstraße.

Weitere Informationen
Auf einer Bildcollage sind die Rowohlt Taschenbücher "Schloss Gripsholm" von Kurt Tucholsky, "Kleiner Mann was nun" von Hans Fallada, "Am Abgrund des Lebens" von Graham Green und "Das Dschungelbuch von "Rudyard Kipling". © Rowohlt Verlag

Die Erfindung des Taschenbuchs: Fallada für die Hosentasche

1945 liegt die Buchbranche brach. Am 17. Juni 1950 folgt die Revolution: das "rororo"-Taschenbuch. mehr

Die ersten Taschenbücher

Noch im selben Jahr gibt er die ersten "rororo"-Hefte heraus - die Abkürzung steht für "Rowohlts Rotations-Romane" und bezeichnet Romane, die wie eine Zeitung im Rotationsverfahren gedruckt werden. Die zündende Idee, Literatur günstig auf Zeitungspapier und im Zeitungsformat zu drucken, ist allerdings nicht Ernst Rowohlts Einfall, wie er später einräumt. Sie stammt von seinem Sohn Heinrich Maria Ledig. Unter den ersten "rororo"-Drucken befinden sich unter anderem "Taifun" von Joseph Conrad und "In einem anderen Land" von Hemmingway.

Große Literatur zum kleinen Preis

1950 vereinen sich die Verlage. Das Stuttgarter Geschäft zieht in die Hansestadt. Am 17. Juni desselben Jahres geht das erste Taschenbuch der Republik für den Rowohlt-Verlag in den Druck. Wieder ist Heinrich Maria Ledig der Ideengeber. Auf einer Buchmesse in New York hatte er sich über die sogenannten Pocket Books informiert: Bücher in kleinem Format für die Hand- und Hosentasche.

Ernst Rowohlt. © picture-alliance / dpa
AUDIO: Ernst Rowohlt über seine "rororo"-Taschenbücher (3 Min)

Ernst Rowohlt verwirklicht die Idee umgehend und produziert gute Literatur auf billigem Papier zu niedrigen Preisen. Er will neue Leser gewinnen, die dann "auch langsam aber sicher dazu übergehen, sich Bücher, die nicht in billigen Ausgaben zu haben sind, zu kaufen". Unter den ersten vier Taschenbüchern befindet sich auch der erste Erfolgsroman des Verlages: "Kleiner Mann - was nun?" von Hans Fallada - für 1,50 DM.

Bundesverdienstkreuz und Ehrendoktorwürde

In den Jahren danach floriert das Geschäft, ab 1955 hat Ernst Rowohlt jedoch zunehmend mit Erkrankungen zu kämpfen. Heinrich Maria Ledig bleibt zurückhaltend, übernimmt aber mehr und mehr die Verlagsführung.

Ernst Rowohlt. © picture-alliance / dpa
AUDIO: Rowohlt erhält das Bundesverdienstkreuz (4 Min)

Mit 70 Jahren wird Ernst Rowohlt für seine kulturellen Verdienste mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, die Universität Leipzig verleiht ihm die Ehrendoktorwürde.

Letzter Wunsch vor Rowohlts Tod: Verlagssitz in Reinbek

Das Rowohlt-Verlagsgebäude in Reinbek. © dpa-Bildfunk
Von 1960 bis 2019 hat der Rowohlt Verlag seinen Hauptsitz in Reinbek bei Hamburg.

Schon in Leipzig und Berlin hatte Rowohlt den Wunsch gehabt, mit seinem Verlag raus aus der Stadt ins Grüne zu ziehen. Ein Jahr vor seinem Tod kann er sich den Wunsch endlich erfüllen. Im Frühjahr 1959 legt er selbst den Grundstein zu dem Verlagsgebäude in Reinbek.

Am 1. Dezember 1960 stirbt der Verleger aus Leidenschaft an den Folgen seines zweiten Herzinfarktes. Wie einst den Helden die Pferde und Waffen, so legen die Angehörigen Ernst Rowohlt sein erstes Buch "Lieder der Sommernächte" von Gustav C. Edzard und sein letztes, die gesammelten Werke Kurt Tucholskys, mit in den Sarg.

VIDEO: Beerdigung Ernst Rowohlt (stumm) (2 Min)

Rowohlt-Bücher - bis heute in aller Hände

Nach Ernst Rowohlts Tod übernimmt sein Sohn Heinrich Maria Ledig die Leitung des Unternehmens. 1982 verkauft Ledig-Rowohlt den Verlag an die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Heute besteht Rowohlt aus einer Gruppe von Verlagen, zu denen auch weitere Häuser in Hamburg und Berlin gehören. Noch immer gehören die "rororo"-Taschenbücher und auch die Kinder- und Jugendbücher aus der Rotfuchs-Reihe zu den beliebten Klassikern. Die meisten seiner Publikationen bietet der Verlag seit rund zehn Jahren aber auch als E-Book an.

Verlagsumzug ins Hamburger Bieberhaus 2019

Ein Schaukelpferd in Form eines roten Fuchses steht im Büro des Rowohlt Verlags in Hamburg. © NDR Foto: Peter Helling
Der Rotfuchs als das Symbol für das Kinder-Angebot des Verlags steht als Schaukel-Fuchs im neuen Verlags-Domizil.

Nach 68 Jahren in Reinbek zieht der Rowohlt Verlag im Frühjahr 2019 schließlich in sein neues Domizil: Im Hamburger Bieberhaus unmittelbar am Hauptbahnhof belegt der den dritten und vierten Stock. In dem Gebäude am Heidi-Kabel-Platz ist unter anderem das Ohnsorg-Theater untergebracht.

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 08.11.2020 | 19:30 Uhr

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