Stand: 21.09.2017 14:59 Uhr

Amalie Sieveking - Die Sozialreformerin

Amalie Sieveking auf einer Lithografie aus dem Jahr 1844. © picture-alliance / akg-images
Amalie Sieveking - hier auf einer Lithografie von 1844 - setzte sich Zeit ihres Lebens für Arme und Kranke ein.

Mit Mitte zwanzig schreibt Amalie Sieveking in ihr Tagebuch: "Meine Bestimmung auf Erden wird, wenn ich meinen Ahnungen trauen darf, eine jungfräuliche sein. Herr, in Demut und Treue will ich deiner leitenden Hand folgen, wohin sie mich führt."

Schon als Kind wird der jungen Amalie ein unbeugsamer Charakter attestiert. Nach ihrer ersten Religionsstunde - sie ist erst sechs Jahre alt - weiß sie, dass sie Lehrerin werden möchte. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben, auch als Frau, zieht sich wie ein roter Faden durch Amalie Sievekings Leben.

Keine ungetrübte Kindheit

Am 25. Juli 1794 kommt Amalie Wilhelmine Sieveking in einem gutbürgerlichen, protestantischen Haushalt in Hamburg auf die Welt. Ihr Vater ist Kaufmann, später Senator. Das Mädchen wächst mit vier Brüdern beim Vater auf, da ihre Mutter bereits 1799 an Schwindsucht stirbt. Der frühe Tod der Mutter wirft einen Schatten auf die Kindheit Amalies. Dazu schreibt sie später: "Bei dem Rückblick auf meine Kindheit kann ich das nicht fühlen, was viele andere fühlen, indem sie sich nach ihren Kinderjahren als den glücklichsten ihres Lebens zurücksehnen." Ein inniges Verhältnis pflegt sie zum zwei Jahre jüngeren Bruder Gustav, dem sie alles anvertraut.

Vater und älterer Bruder sterben früh

Der Vater lässt Amalie durch Hauslehrer unterrichten. Sie besitzt eine schnelle Auffassungsgabe und hungert geradezu nach Bildung. Doch die Lehrer kommen ihrem Wissensdrang nicht nach. Deshalb liest sie ein Buch nach dem anderen: Romane, Schauspiele und wissenschaftliche Werke.

Darstellung Amalie Sievekings, die armen Frauen hilft, auf einem historischen Stich aus dem 19.  Jahrhundert. ©  imago/imagebroker
Amalie Sieveking - hier auf einem historischen Stich - lernt früh am eigenen Leib kennen, was Armut bedeutet. Später hilft sie selbst den Armen.

Einschneidende Erlebnisse sind für Amalie der frühe Tod ihres älteren Bruders Peter im Jahr 1807 und des Vaters 1809. Die Geschwister wachsen von nun an getrennt auf. Amalie lebt mit einer Erzieherin in einer Pension und erfährt, was es heißt, arm zu sein. Da der Vater kein Vermögen hinterlässt, lebt sie aus einem Fonds für unverheiratete Senatorentöchter und verdient sich mit verhasster Stickarbeit ein kleines Zubrot.

Lehrerin aus Berufung

1811 zieht Amalie zu Anna Brunnemann, die für sie zur Ersatzmutter wird. Amalie kümmert sich um deren kranken Sohn Herbert, pflegt ihn und spendet ihm Trost. Ein Jahr später gründet die 19-Jährige eine kleine Schule. Obwohl sie selbst, wie in der damaligen Zeit für Mädchen üblich, nie eine Universität besucht hat, unterrichtet sie unentgeltlich sechs Mädchen aus der befreundeten Nachbarschaft. Diesem "Lebensberuf" oder "Liebesberuf", wie sie ihn nennt, bleibt sie bis an ihr Lebensende treu.

Aus ihrem Engagement entsteht 1816 die Freischule für arme Kinder, die sie mit Spenden aus der Verwandtschaft finanziert. Im Bekanntenkreis findet sie ehrenamtliche Hilfslehrerinnen.

Der Tod geliebter Menschen stärkt Amalies Glauben

Im Krieg gegen Napoleon fällt zunächst Amalies große Liebe Henning Petersen, später erliegt auch ihr geliebter Bruder Gustav seinen Kriegsverletzungen. Amalie sucht Halt im Glauben und wendet sich noch stärker der Bibel und dem Gebet zu. Eine Ehe kommt für sie nicht mehr infrage.

Enger Austausch zu Glaubensfragen

Abends studiert Amalie jetzt theologische Schriften und findet durch sie zu einem lebendigen Glauben, der zum Teil schwärmerische Züge trägt. 1823 schreibt sie ihr erstes Buch "Betrachtungen", dass sie anonym veröffentlichen lässt.

Johann Hinrich Wichern, Zeichnung. © picture alliance / akg-images Foto: akg-images
Mit dem Reformer Johann Wichern verbindet Amalie Sieveking der leidenschaftliche Einsatz für die Armen.

Eine Abwechslung vom Alltag sind die sonntäglichen Besuche bei ihrem Vetter Karl Sieveking, dem Stadtschreiber des Hamburger Senats. Bei ihm versammelt sich das "geistige und geistliche Hamburg" jener Zeit. Dazu gehören neben Senatoren und Künstlern vor allem Geistliche. Hier kommt sie in Kontakt mit der sogenannten Erweckungsbewegung, einer reformerischen Strömung innerhalb der protestantischen Kirche. Zu der Bewegung gehört unter anderem auch Johann Heinrich Wichern, der Begründer des "Rauhen Hauses, einer Einrichtung für verwaiste und verwahrloste Kinder und Jugendliche.

Freiwillige Helferin im Kampf gegen die Cholera

Für Sieveking liegt die Erfüllung ihres Glaubens in der karitativen Arbeit. Als 1831 in Hamburg die Cholera grassiert, meldet sie sich freiwillig zur Arbeit im Cholera-Krankenhaus St. Ericus. Anfangs von den Ärzten argwöhnisch beobachtet, bekommt sie binnen weniger Wochen durch ihre gute Organisation die Anerkennung der Ärzte. Sie übernimmt die Aufsicht über die Pflegekräfte, arbeitet unermüdlich und kümmert sich aufopferungsvoll um die Todkranken.

Wegbereiterin der christlichen Diakonie

Die bittere Armut vieler Menschen berührt Sieveking und so gründet sie 1832 den "Weiblichen Verein für Armen- und Krankenpflege" - den Wegbereiter der christlichen Diakonie. Der Verein wird zunächst von 13 Frauen aus der Oberschicht getragen und hilft mit persönlichen Besuchen und Sachmitteln. Er wächst in den nächsten Jahren kontinuierlich und setzt sich insbesondere nach dem Großen Brand 1842 für die Ärmsten und Schwächsten ein. Durch seinen Erfolg wird er zum Vorbild für weitere Vereine in Deutschland und später auch im Ausland.

Diverse Angebote, Pflegevereine oder Krankenhäuser zu leiten, lehnt Amalie Sieveking stets ab. Später nimmt sie noch weitere Arbeitsfelder für Notleidende in Angriff, darunter etwa den Bau von Armenwohnungen sowie die Gründung eines Instituts zur Ausbildung von Erzieherinnen.

Eine große Sozialreformerin

Historische Darstellung des ersten Amalienstifts in St. Georg von 1856. © picture alliance Foto: akg-images
Historische Darstellung des ersten Amalienstifts in der Stiftstraße 65 in Hamburg-St.Georg.

Am 1. April 1859 stirbt Amalie Sieveking an Tuberkulose. In ihrem Testament verfügt sie, dass sie ein Armenbegräbnis bekommt.

Als Sozialreformerin steht Amalie Sieveking in einer Linie mit Johann Hinrich Wichern. Ihr Wirken führte dazu, dass Staat und Kirche die Notwendigkeit einer organisierten Hilfe für Bedürftige ist. Ihr Verein, die Amalie-Sieveking-Stiftung, existiert noch heute.

Amalie Sieveking auf einer Lithografie aus dem Jahr 1844. © picture-alliance / akg-images
AUDIO: Erinnerungen an Amalie Sieveking (3 Min)

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 15.12.2017 | 20:15 Uhr

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