Vornehmlich Frauen stehen am 19. Januar 1919 für die Wahl der Deutschen Nationalversammlung in einer Schlange vor einem Wahllokal. © AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung/dpa

Wie Frauen sich ihr Wahlrecht erkämpft haben

Stand: 13.11.2023 00:00 Uhr

Es ist ein historischer Schritt in Richtung Gleichberechtigung, der den langen Kampf von Frauen belohnt: Mit dem freien Wahlrecht erfüllt sich am 12. November 1918 eine zentrale Forderung der deutschen Frauenbewegung.

von Irene Altenmüller

"Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen kann. [...] Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist." SPD-Politikerin Marie Juchacz am 19. Februar 1919 im Reichstag

Mit diesen Worten ergreift Marie Juchacz am 19. Februar 1919 als erste Frau in einem deutschen Parlament das Wort. Die Sozialdemokratin ist eine von 37 Frauen, die in die Nationalversammlung gewählt wurden, die später die Weimarer Verfassung verabschiedet - und erntet für ihre ersten Worte im Reichstag viel Zustimmung und Applaus aus den eigenen Reihen.

82 Prozent der Frauen nutzen bei der Premiere ihr Wahlrecht

Die Reichstagsabgeordnete und Frauenrechtlerin Marie Juchacz um 1930. © dpa / picture alliance
Marie Juchacz (Foto um 1930) ist die erste Frau, die in einem deutschen Parlament spricht.

Zum ersten Mal im deutschen Politikbetrieb hatten Frauen ihr neu errungenes aktives und passives Wahlrecht auf nationaler Ebene bei der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 nutzen können - und dies auch intensiv getan: Mehr als 82 Prozent der wahlberechtigten Frauen gingen an die Wahlurne.

12. November 1918: Geburtsstunde des Frauenwahlrechts

Rückblick: Am 9. November 1918 ruft Philipp Scheidemann in Berlin die Republik aus, der Aufstand der Matrosen in Kiel hat den Sturz der Monarchie eingeleitet. Drei Tage später, am 12. November 1918, kündigt der Rat der Volksbeauftragten - eine Art Übergangsregierung bis zu den ersten Wahlen - eine Wahlrechtsreform an. Demnach sind künftig alle Frauen und Männer ab 20 Jahren wahlberechtigt. Es ist die Geburtsstunde des Frauenwahlrechts in Deutschland, eine der wichtigsten Forderungen der Frauenbewegung ist erfüllt.

"Über das Stimmrecht zur Freiheit"

Bis zu diesem Erfolg war es ein langer Weg. Bereits 1873 etwa ruft Hedwig Dohm ihre Mitstreiterinnen auf: "Fordert das Stimmrecht, denn über das Stimmrecht geht der Weg der Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau." 1891 nimmt die SPD die Einführung des Frauenstimmrechts in ihr Parteiprogramm auf.

Frauen demonstrieren 1912 in Berlin für ihr Wahlrecht. © akg-images/ Picture-Alliance Foto: akg-images
Ab 1900 gehen Frauen verstärkt für ihre Rechte auf die Straße - hier eine Demonstration in Berlin im Jahr 1912.

Auch viele bürgerliche Aktivistinnen wollen die Frauenrechte stärken. Sie setzen sich vor allem für bessere Bildungschancen sowie Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit von Frauen ein. Anders als die Sozialdemokratinnen streben sie jedoch keine gesamtgesellschaftliche Umwälzung an, sondern versuchen, schrittweise an Einfluss zu gewinnen. So bleiben die Aktivistinnen in verschiedene Gruppen zersplittert, statt gemeinsam für die Fraueninteressen einzutreten.

1902: Gründung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nimmt der Druck der Frauenbewegung zu, weltweit wird der Ruf nach dem Wahlrecht für Frauen lauter. In Deutschland lassen erste Universitäten Frauen zum Studium zu, 1902 gründen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann in Hamburg den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht. Ab 1908 dürfen Frauen politischen Parteien beitreten.

19. März: Kampftag für das Frauenwahlrecht

Plakat von 1914 mit der Forderung nach dem Frauenwahlrecht. © dpa / picture alliance / akg-images
"Heraus mit dem Frauenwahlrecht" fordert dieses Plakat aus dem Jahr 1914.

Beim ersten Internationalen Frauentag am 19. März 1911 ist die Forderung nach dem Frauenwahlrecht zentrales Thema. Der 19. März ist fortan der Kampftag für dieses elementare politische Recht. Viele Aktivistinnen sind optimistisch - sie glauben, die Einführung des Frauenwahlrechts stünde kurz bevor.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs hoffen viele Frauen, sich durch Unterstützung des Deutschen Reiches an der "Heimatfront" so verdient machen zu können, dass ihre Leistung nach dem Krieg mit der politischen Gleichberechtigung belohnt würde.

Ab 1917: Frauenvereine schließen sich zusammen

Doch 1917 wird klar, dass Kaiser Wilhelm II. nicht daran denkt, den Forderungen der Frauen nachzukommen. In seiner Osterbotschaft kündigt er eine Demokratisierung des Wahlrechts an - von Frauen ist dabei nicht die Rede. In der Folge schließen sich die unterschiedlichen Frauenverbände zu einem breiten Bündnis zusammen, schicken Petitionen ab, rufen zu Demonstrationen auf und setzen die Politik unter Druck. Mit der Ankündigung von Wahlen "nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen" am 12. November 1918 haben die Frauen eines ihrer wichtigsten Ziele erreicht. Am 30. November 1918 tritt das Reichswahlgesetz mit dem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in Kraft.

19. Januar 1919: 37 Frauen ziehen in die Nationalversammlung ein

Am 19. Januar 1919 geben rund 82 Prozent der Frauen bei der Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung ihre Stimme ab, 300 Frauen kandidieren. Mit 37 von insgesamt 423 Abgeordneten liegt ihr Anteil in der Nationalversammlung bei 8,7 Prozent, sinkt jedoch bei den weiteren Wahlen während der Weimarer Republik und bleibt auch nach 1949 in der Bundesrepublik gering. Erst 1987 wird dieser geringe Frauenanteil im Deutschen Bundestag mit 15,4 Prozent deutlich überschritten. Der Anteil von Frauen an den Abgeordneten der DDR-Volkskammer betrug dagegen 1950 bereits 23 Prozent, 1986 dann 32,2 Prozent.

Bis heute sind Frauen im Bundestag unterrepräsentiert

Ein Blick von oben in den Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Berlin während einer laufenden Sitzung. © dpa bildfunk Foto: Kay Nietfeld
Von den insgesamt 709 Abgeordneten des Bundestages sind aktuell nur 223 weiblich.

In keinem deutschen Parlament seit 1919 sind Frauen zu gleichen Teilen wie Männer vertreten. In den Landtagen sitzen derzeit durchschnittlich rund 30 Prozent Frauen. Hamburg liegt dabei mit einem Frauenanteil von 43,9 Prozent mit Abstand weit vorne, das Schlusslicht bildet das Landesparlament von Sachsen-Anhalt mit 21,8 Prozent. Im Bundestag liegt der Frauenanteil aktuell bei 31,4 Prozent, wobei deutliche Unterschiede zwischen den Fraktionen auszumachen sind. So stellen Frauen bei der AfD nur 10,2 Prozent der Abgeordneten, bei Bündnis 90/Die Grünen sind es 56,7 Prozent. Von einer breiten Parität ist Deutschland auch nach mehr als 100 Jahren noch weit entfernt.

Weitere Informationen
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NDR Info | Redezeit | 06.11.2018 | 21:05 Uhr

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