Stand: 08.01.2009 12:00 Uhr

Der Rote Punkt der Solidarität

von Vivienne Schumacher, NDR.de

Zum 1. Juni 1969 kündigen die Hannoverschen Verkehrsbetriebe (Üstra) eine Erhöhung der Fahrpreise für Straßenbahnen und Busse um bis zu 33 Prozent an. Dagegen regt sich Protest, der unter dem Namen "Aktion Roter Punkt" bundesweit auf Sympathie stößt. In den frühen 70er-Jahren kommt es in zahlreichen deutschen Städten zu ähnlichen Initiativen.

"Autofahrer! Helfen Sie den Bürgern!"

Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen in Hannover 1969. © dpa
Der Protest gegen Fahrpreiserhöhungen im Nahverkehr wuchs stetig.

Es war die Idee zweier Studenten, die Mitglieder des Allgemeinen Studentenausschusses (Asta) der Technischen Universität in Hannover waren. Mit einem Flugblatt setzten sie die "Aktion Roter Punkt" im sogenannten heißen Juni 1969 in Gang. Außer der Kritik an den Fahrpreiserhöhungen der Üstra enthielt das Flugblatt auch konstruktive Vorschläge. "Autofahrer!", hieß es darin, "helfen Sie den Bürgern, die kein Auto besitzen. Kleben Sie sich den "Roten Punkt" an die vordere Windschutzscheibe!" Mit diesem Punkt sollten die Autofahrer signalisieren, dass sie Passanten kostenlos mitnehmen.

Der rote Punkt der Solidarität

Straßenbahnen und Busse wurden seit dem 7. Juni durch Sitzblockaden und Demonstrationen behindert. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein und nahm im Verlauf einer Demonstration am 10. Juni 120 Personen fest. Den Protest konnte dies jedoch nicht eindämmen. Nach ein paar Tagen stellte die Üstra den Verkehr ein. Vom 12. bis 19. Juni fuhren weder Busse noch Straßenbahnen. Gleichzeitig solidarisierten sich immer mehr Autofahrer mit der Bürgerinitiative und steckten sich den handtellergroßen roten Punkt auf weißem Quadrat hinter die Scheibenwischer.

Mit dem Schlachtruf "Üstra, Üstra, ungeheuer, erstens Scheiße, zweitens teuer" brachte die Bevölkerung ihren Unmut über das private Unternehmen zum Ausdruck. In der Hochphase des Protestes fuhr jedes zweite Auto mit dem roten Punkt, die Fahrer nahmen wildfremde Menschen mit und wurden Teil des öffentlichen Nahverkehrs.

50.000 rote Punkte von der Stadt

AUDIO: Proteste gegen Fahrpreiserhöhungen - Aktion der Rote Punkt (6 Min)

Die Bewegung erreichte eine breite Bevölkerung und bekam den Charakter eines Volksfestes. Gewerkschaften, Großbetriebe und Teile der Presse unterstützten die Proteste. Nach knapp einer Woche solidarisierte sich auch die Stadtverwaltung Hannover. Sie ließ 50.000 rote Punkte drucken und verteilen. Der Protest dauerte elf Tage. Die Üstra nahm ihre Preiserhöhung zurück und ersetzte sie durch einen Einheitsfahrpreis von 50 Pfennig pro Strecke. Ein Jahr später wurde das bis dahin private Unternehmen in einen kommunalen Dienstleister umgewandelt.

Dieses Thema im Programm:

NDR Fernsehen | Unsere Geschichte | 12.07.2009 | 22:30

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