Menschen feiern in der Nacht zum 3. Oktober 1990 mit Deutschlandfahnen und Feuerwerk vor dem Berliner Reichstag die deutsche Wiedervereinigung. © picture-alliance/ dpa Foto: Jörg Schmitt
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Menschen feiern in der Nacht zum 3. Oktober 1990 mit Deutschlandfahnen und Feuerwerk vor dem Berliner Reichstag die deutsche Wiedervereinigung. © picture-alliance/ dpa Foto: Jörg Schmitt
AUDIO: 3. Oktober 1990: Wiedervereinigung von DDR und Bundesrepublik (15 Min)

Als Deutschland wieder eins wurde

Stand: 03.10.2023 05:00 Uhr

329 Tage nach dem Mauerfall ist die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 vollendet: Die DDR tritt der Bundesrepublik bei - der Tag der Deutschen Einheit. Um das Datum gab es im Vorfeld viel Streit.

Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990. Volkskammer der DDR

So entscheidet es das erste frei gewählte DDR-Parlament am 22. August 1990, sechs Wochen nach der Währungsunion mit Einführung der D-Mark, in einer Sondersitzung mit 294 gegen 62 Stimmen bei sieben Enthaltungen. Vom Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 bis zur deutschen Einheit soll damit nur ein knappes Jahr vergehen, genau 329 Tage.

Zähes Ringen um Beitrittstermin in der Volkskammer der DDR

Die Volkskammer der DDR während einer Abstimmung per Handzeichen: Sie wählte am 24. Oktober 1989 Egon Krenz zum neuen Staatsratsvorsitzenden und zum Chef des Nationalen Verteidigungsrates. © picture alliance / dpa
Im August 1990 beschließt die Volkskammer das Ende der DDR.

Eine erste Volkskammer-Abstimmung war zwei Wochen zuvor, am 8. August 1990, an der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit gescheitert. Die Sitzung am 22. August ist geprägt von einem Hickhack um das Wie und Wann des Beitritts. Bis tief in die Nacht ringen die Abgeordneten zäh um den richtigen Termin - vom sofortigen Beitritt an eben jenem 22. August bis zum 2. Dezember waren in den Wochen zuvor rund 15 Vorschläge gemacht worden und beherrschen nun wieder die Debatte. Die Deutsche Soziale Union (DSU) etwa will das "bankrotte Unternehmen DDR" schnellstmöglich beerdigen. Einen möglichst späten Termin strebt das Lager aus zum Beispiel CDU und Demokratischem Aufbruch (DA) an, um strittige Punkte noch vor dem Zusammenschluss mit der Bundesrepublik verhandeln zu können. So geht es beim Termin-Streit um nicht weniger als den Kampf um die größte Chance auf Verwirklichung sozialer Interessen.

Tag der Deutschen Einheit: Warum am 3. Oktober?

Mit seiner Symbolkraft naheliegend wäre auch das Datum des Mauerfalls am 9. November gewesen. Da an diesem Tag allerdings bereits an die Reichspogromnacht von 1938 erinnert wird, war der Termin schnell wieder vom Tisch.

Erst um 2.47 Uhr steht das Ergebnis der Abstimmung fest: Die Existenz der DDR soll am Mittwoch, 3. Oktober 1990, enden - einen Tag nach einer Konferenz der KSZE-Außenminister. Sie sollen vorab über den Zusammenschluss Deutschlands informiert werden. Daher gilt der 3. Oktober als frühestmöglicher Termin für den Beitritt.

Tag der Deutschen Einheit: Ein Feiertag mit Festakt

Am 3. Oktober 1990 ist die DDR der Bundesrepublik beigetreten. Im Einigungsvertrag wurde der 3. Oktober zum gesetzlichen Feiertag bestimmt. Die offizielle Feier findet jeweils in der Hauptstadt oder einer anderen Großstadt des Bundeslandes statt, das den Präsidenten des Bundesrats stellt. 2023 richtete Hamburg die Feierlichkeiten aus.

Wiedervereinigung wird zum Feiertag für Ost und West

Mit der Wiedervereinigung wird gleichzeitig ein neuer, gemeinsamer Nationalfeiertag für Ost und West geboren: der Tag der Deutschen Einheit. Statt des 17. Juni, der in der Bundesrepublik von 1954 bis 1990 in Gedenken an den Volksaufstand in der DDR 1953 als "Tag der Deutschen Einheit" gesetzlicher Feiertag war, ist dies nun laut Einigungsvertrag der 3. Oktober. Am 20. September stimmten das DDR-Parlament und der Deutsche Bundestag dem Einigungsvertrag zu, einen Tag später auch der Bundesrat.

"Von deutschem Boden wird nur Frieden ausgehen"

Bundeskanzler Helmut Kohl zwischen Außenminister Hans-Dietrich Genscher (l.), Hannelore Kohl und Bundespräsident Richard von Weizsäcker (r.) winkt am ersten Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 von der Freitreppe des Berliner Reichstages. © dpa Foto: Wolfgang Kumm
Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) winkt der jubelnden Menge am 3. Oktober 1990 von der Freitreppe des Berliner Reichstages zu. Er gilt als treibende Kraft und Gestalter der Einheit.

Das Inkrafttreten des Einigungsvertrages läutet Bundespräsident Richard von Weizsäcker um Punkt Null Uhr des 3. Oktober vom Podium des Schöneberger Rathauses in Berlin ein: "In freier Selbstbestimmung wollen wir die Einheit Deutschlands vollenden!" Zum Läuten der Freiheitsglocke wird vor dem Reichstag die bundesdeutsche Flagge, die "Fahne der Einheit" gehisst. 45 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind die Deutschen wieder in einem souveränen Staat vereint. "Von deutschem Boden wird in Zukunft nur Frieden ausgehen", lautet vor diesem Hintergrund und im Bewusstsein der Skepsis der Weltgemeinschaft daher die Botschaft von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) an alle Regierungen der Welt: "Deshalb haben wir den endgültigen Charakter der Grenzen des vereinten Deutschland bestätigt (...) Wir werden in Zukunft keinerlei Gebietsansprüche gegen irgend jemand erheben."

Hunderttausende Menschen strömen durch die Stadt, zum Brandenburger Tor und zum Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude und skandieren in Richtung Kohl, der als Einheitsmacher gilt, "Helmut! Helmut!". Es dürfte eine der größten Partys Deutschland werden, die hier gerade beginnt. Rund eine Million Menschen feiern allein in Berlin. Auch in anderen Städten Deutschlands sind Zigtausende auf den Straßen. Vereinzelt kommt es zu Protesten und Ausschreitungen.

VIDEO: Satire: Aktuelle Kamera - der andere Blick auf den 3. Oktober (2003) (2 Min)

Deutsche Einheit schürt Ängste in Ost und West

Denn ob vor oder nach dem 3. Oktober: Die Wiedervereinigung ist 1990 durchaus umstritten - und zwar auf beiden Seiten der ehemaligen Grenze. Direkt nach der Verkündung des Volkskammer-Beschlusses im August bedauert der damalige SED-PDS-Vorsitzende Gregor Gysi: "Das Parlament hat soeben nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik zum 3. Oktober 1990 beschlossen." Und erntet damit Applaus aus mehreren Fraktionen des Parlaments - und Zustimmung breiterer Teile der Bevölkerung.

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Statt von Wiedervereinigung oder Beitritt sprechen viele im Osten - und auch im Westen - Deutschlands von Übernahme oder Anschluss: Der Westen habe die DDR geschluckt, eingegliedert in das kapitalistische System der BRD. Die Angst vor Identitätsverlust, davor, bevormundet zu werden und wirtschaftlich nicht mithalten zu können, ist groß. Auch im Westen herrschen Ängste vor: Das Ende der Teilung könnte bedeuten, teilen zu müssen - und in der Folge verzichten. Würde das Land des einstigen Wirtschaftswunders so viel auch finanzielle Solidarität überstehen? Bei allen Zweifeln: Das übergeordnete Ziel der Deutschen Einheit war mit dem Wiedervereinigungsgebot fester Bestandteil des Grundgesetzes seit 1949.

Das Ende der Teilung teilt weiter in "Ossis" und Wessis"

"Nach der Mauer aus Stein müssen jetzt noch die Mauern in manchen Köpfen abgetragen werden", so etwa Gysis Losung nach der Wende. Zum Einswerden gehört trotz aller Vorbehalte also erst einmal dazu, sich kennenzulernen. Broiler, Abnicken, Rübermachen - so etwa die Vokabeln, die es im Westen zu lernen gilt. Abwickeln, Rationalisieren, Arbeitslosigkeit - so die Begriffe, die die neue Realität der Ostdeutschen beschreiben.

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Insbesondere auf wirtschaftlicher Ebene sollen viele Ängste - trotz Kohls Versprechen von den "blühenden Landschaften" - berechtigt bleiben. Ungeachtet ihres ideellen Wertes steigen die Kosten der Einheit inklusive Übernahme von DDR-Verbindlichkeiten, Sozialleistungen und dem sogenannte Aufbau Ost auf ein Vielfaches der ursprünglich geschätzten 450 Milliarden Euro. Aus Kohls "Wir machen keine Steuererhöhungen im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit" wird der dauerhafte Solidaritätszuschlag. Bevölkerungsabwanderung und Leerstand in Teilen Ostdeutschlands lassen etliche Konjunkturbemühungen zunächst scheitern. Etliche Landesteile liegen auf Jahre brach, bevor sie wieder anfangen zu "blühen". Im Jahr 2005 erreicht die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland einen Höchststand von 18,7 Prozent (Westdeutschland: 9,9 Prozent). Auch heute noch ist sie im Osten dauerhaft höher als im Westen, wenn auch längst nicht mehr so deutlich.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 02.10.2023 | 08:00 Uhr

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Mauerfall, Wende und Deutsche Einheit

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