Stand: 15.02.2016 09:20 Uhr

Beklemmende Parallelen, literarisch aufgedeckt

von Andrea Schwyzer
Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig, Photographie (1925) © IMAGNO/Photoarchiv Setzer-Tschie
Auch Texte von Stefan Zweig über den Ersten Weltkrieg wurden gelesen.

Hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg haben die Gewaltkonflikte unserer Zeit ganz neue Formen angenommen. Wenn anstelle von Staaten einzelne Milizen und Terrorgruppen zu den entscheidenden Akteuren werden, lassen sich Kriege oft kaum noch als solche erfassen. Dennoch können wir heute aus den Ereignissen rund um den Ersten Weltkrieg lernen. Was konkret, das versuchte eine Veranstaltung am Schauspiel Hannover zu erörtern - und zwar "Tatort: Schlachtfeld", eine Lesereihe im Rahmen des Projekts "100 Jahre Gegenwart" des Hauses der Kulturen der Welt.

Vorfreude auf den Krieg - damals und heute

Die Vorfreude auf den Krieg, "der Rausch der Gefühle", wie an einer Stelle beschrieben, schien aufzuleben, als die beiden Schauspieler Johanna Wokalek und Peter Lohmeyer literarische Texte, Briefe und Tagebucheinträge aus der Zeit rund um den Ersten Weltkrieg lasen. Texte von Stefan Zweig, Ernst Jünger, Gerhart Hauptmann, Erich Maria Remarque oder Käthe Kollwitz. Sie bildeten so etwas wie eine Klammer rund um den Ersten Weltkrieg, sprachen erst von der Langeweile vor dem Krieg und dass doch endlich etwas passieren müsse und später von der Monotonie des Kriegsgeschehens selbst.

Die heraufbeschworene Atmosphäre schien auf den ersten Blick einer vergangenen Zeit anzugehören. Auf den zweiten erinnerte sie aber auch an die Gegenwart: Etwa an junge Europäerinnen und Europäer, die sich voller Tatendrang und Überzeugung der Terrororganisation Islamischer Staat anschließen und eben in den Krieg ziehen wollen. Beklemmende Parallelen, literarisch aufgedeckt.

Münkler: Probleme einzeln betrachten

Auch aus historischer Sicht können Bezüge zwischen 1916 und 2016 hergestellt werden. Der Historiker Herfried Münkler appellierte in einem kurzen Vortrag an die Politik, endlich analytisch und sezierend zu denken: "Eine der zentralen Lehren des Ersten Weltkriegs läuft sicherlich darauf hinaus, dass man bereit sein muss, Probleme langsam der Reihe nach und jedes für sich zu betrachten und nicht zu glauben, indem man die Probleme zusammenfließen lässt, bekommt man die große Lösung."

Das gelte etwa im Hinblick auf die Konflikte im Nahen Osten. Die Probleme in Jordanien, Libanon und Syrien seien ganz andere als in Ägypten, Saudi Arabien oder Libyen. "Es ist sinnvoll zu sagen, wir gucken uns diese Länder einzeln an und versuchen im Rahmen unserer bescheidenen Möglichkeiten - wenn ich das jetzt auf die deutsche Politik beziehen darf - hier und dort einen vernünftigen Beitrag zu machen. Das heißt aber auch, dass wir in der Analyse nicht immer gleich alles hineinbringen dürfen, nicht alle Probleme von der Demografie bis zum Klimawandel, sondern da ist das große Risiko, dass man sich dann analytisch überfordert und dann natürlich auch handlungspraktisch, und am Schluss in Melancholie verfällt, dabei steht und vielleicht schöne Gedichte schreibt da drüber, aber nichts ändern kann", so Münkler.

Wenig konstruktive Diskussion

Porträtbild von Herfried Münkler, stehend vor einer Wand © dpa-report Foto: Peter Ending
Herfried Münkler appellierte daran, sich auf einzelne Konflikte zu konzentrieren.

Der Politikwissenschaftler spielte mit dieser Aussage auf die vorangegangene Diskussion mit Sven-Christian Kindler vom Bündnis 90/Die Grünen an. Der bat darum, die Probleme allumfassend zu betrachten. Der Klimawandel trage nämlich durchaus auch zur Entstehung von Konflikten bei. Etwa in solchen Ländern, wo jahrelange Dürreperioden den Kampf um Ressourcen verschärfen.

Die Diskussionsrunde wollte ursprünglich konkrete Problemlösungsansätze für das Eingreifen in Syrien oder der Ukraine herausschälen - aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg. Es standen sich aber mit Münkler und Kindler zwei Personen gegenüber, die jeweils ihre Sichtweise dem anderen gegenüber rechtfertigen wollten und so verlief die Diskussion wenig konstruktiv. Die Verschmelzung von Literatur, Wissenschaft und Politik funktionierte dennoch hervorragend, weil ein komplexes Thema wie der Erste Weltkrieg die Besucher auf ganz unterschiedlichen Ebenen anzusprechen vermochte. Leider waren die Reihen in der Cumberlandschen Galerie nur zu etwa einem Drittel gefüllt. Schade, angesichts der hochkarätigen Protagonisten.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 15.02.2016 | 10:20 Uhr

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