Stand: 08.03.2015 06:00 Uhr

Hamburgs Straßen führen kaum Frauen im Schilde

von Carolin Fromm, NDR.de

Die eigene Adresse schreiben wir fast so oft wie unseren Namen. Bei vielen Hamburgern stehen dann Männernamen auf dem Brief. 2.500 verschiedene Straßen, Brücken, Plätze und Kanäle der Hansestadt sind Männern gewidmet. Nur 357 erinnern an Frauen. "Bei den zu ehrenden Persönlichkeiten gibt es einen auf Männer zentrierten Blick. Denn es werden nur ihre Aktivitäten als zu ehrend betrachtet", erklärt Rita Bake. Die stellvertretende Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Hamburgs Straßennamen. Ihrer Ansicht nach wird auch heute noch zu wenig darauf geachtet, vermehrt Frauen mit einer Straße zu ehren.

"Straßen sind Gedächtnis der Stadt"

"Straßen sind ein Gedächtnis der Stadt. Man besucht sie jeden Tag und nicht, wie ein Museum, nur ein Mal." Warum hat Ida Boy Ed eine Straße? Wieso Paula Westendorf einen Weg? Kleine Schilder unter dem Straßenschild erklären, dass Boy Ed eine Schriftstellerin und Westendorf Mitglied der Bürgerschaft war. Aus Straßen kann man lernen. "Erinnern ist wichtig für die Zukunft. Wenn Frauen nicht vorkommen, werden sie auch im alltäglichen Leben mit ihren Aktivitäten nicht wahrgenommen", sagt Bake.

Frauen-Datenbank als Antwort

Weil sie immer wieder zu hören bekam, man kenne keine Frauen, denen man eine Straße widmen könne, konzipierte sie auch die Hamburger Frauenbiografien-Datenbank. Die Arbeit daran ist mühsam. Bake sucht nach Zeitungsschnipseln und in Archiven, denn Frauen-Monografien gebe es wenige. Manchmal melden sich bei ihr Angehörige mit Hinweisen auf ihre Verwandten. Feste Kriterien hat sie für die Aufnahme nicht: Es reicht von einer Frau, die als Opfer häuslicher Gewalt für viele Frauen steht, bis hin zur ersten Senatorin Paula Karpinski.

Von Heiligen und Töchtern

Welche Frau eine Straße bekommt, hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert. Waren es bis zum 18. Jahrhundert viele Heilige (Katharinenbrücke), folgten anschließend meist Angehörige von Grundstückbesitzern. "Das war damals ein beliebtes Hochzeitsgeschenk für Töchter", sagt Bake. Auch weibliche Vornamen (Sophienterassen) und Schriftstellerinnen stehen oben auf der Benennungs-Liste. Bei den Männern führten vor allem Grundstücksbesitzer und Politiker. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges dominieren bei der Neubenennung Widerstandskämpfer und Opfer aus der Nazi-Zeit. Wichtig für die Straßen-Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau war das Jahr 1974.

Frauen kämpfen für Straßen-Gleichberechtigung

"Bis 1973 war es wirklich prekär", sagt Bake. Zwischen 1950 und 1973 wurden etwa 55 Straßen nach Frauen, dafür aber rund 768 nach Männern benannt. Damals machte die Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenverbände Druck auf den Senat und die Bezirke. Diese sind nun angewiesen, Neubenennungen gleichberechtigt zu verteilen. Bake findet, heute werde zwar mehr darauf geachtet, Frauen im Straßenverzeichnis zu verewigen, aber immer noch nicht genug. Denn seit 1974 erhielten nur 162 Frauen, aber 404 Männer eine sogenannte Verkehrsfläche.

Straßenschild der Helene-Lange-Straße in Hamburg  Foto: Carolin Fromm
Die Frauenrechtlerin Helene Lange wird als einzige Frau im Stadtteil Rotherbaum mit einer Straße geehrt.

Positive Ausnahme ist das Wohngebiet Neuallermöhe-Ost (Bezirk Bergedorf). Die Bezirksversammlung beschloss während der Planung einen Großteil der neuen Straßen nach Frauen zu benennen. Daher ist Bergedorf der Bezirk mit dem ausgeglichensten Verhältnis zwischen Mann und Frau (177:58). Ganz strikt will Bake nicht sein: "Man kann sich auch nicht kategorisch daran halten, nun alles nach Frauen zu benennen."

Ausgleich für beide Geschlechter

In einigen Bereichen herrscht besonderes Ungleichgewicht. So erhielten 2013 erstmals Hamburger Unternehmerinnen einen Platz und eine Straße: die beiden Reederinnen Liselotte von Rantzau (Platz) und Lucy Borchardt (Straße) finden sich nun in der Hafencity. In anderen Bereichen sind natürlicherweise die Frauen den Männern voraus: So sind die geehrten Frauenrechtlerinnen, Musen und Opfer von Hexenverbrennungen immer weiblich. Auch die Tänzerinnen Fanny Elßler und Lola Rogge haben kein männliches Gegenstück. Rita Bake plädiert für Ausgeglichenheit auf beiden Seiten. So würde beim Spazierengehen auch deutlich, dass Männer in klassischen Frauen-Bereichen tätig sein können.

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 08.03.2015 | 19:30 Uhr

Mehr Geschichte

Aus Hamburg kommende Demonstranten auf ihrem Marsch am 18. April 1960: Demonstranten in Regenkleidung halten Plakate wie 'Atomare Aufrüstung bedeutet Krieg und Elend'. © picture-alliance / dpa Foto: Marek

Wie sich der Ostermarsch zur Friedensbewegung entwickelte

Der erste Protestmarsch führt 1960 ab Karfreitag in die Lüneburger Heide. In diesem Jahr finden die Märsche bis zum 1. April statt. mehr

Norddeutsche Geschichte