Stand: 25.02.2016 14:00 Uhr

Fritz Honka: Serienmörder und armes Würstchen

von Ulrike Sárkány
Heinz Strunk: "Der goldene Handschuh" (Cover) © Rowohlt
Mit seinem Roman über eine Hamburger Mordserie in den 70er-Jahren ist Heinz Strunk für den Leipziger Buchmesse-Preis nominiert.

Mit seiner Kollegin Charlotte Roche hat er gemeinsam, dass er schon immer gern über all die Dinge ausgiebig gesprochen hat, die der Rest der Menschheit, wenn es irgend geht, weiträumig meidet: "Heinz Strunk", auch bekannt als "Jürgen Dose" oder "Fleischmann". Als er 1962 in Hamburg geboren wurde, hieß er Mathias Halfpape. Als Heinz Strunk veröffentlichte er bisher autobiografische Bücher, und nun kommt sein Roman "Der goldene Handschuh" heraus, der vom Hamburger Frauenmörder Fritz Honka handelt. Das Werk ist unter den fünf Belletristik-Kandidaten für den Preis der Leipziger Buchmesse.

Kultkneipe auf dem Hamburger Kiez

Eine Kneipe auf der Reeperbahn als Dreh- und Angelpunkt des Geschehens zu wählen, ist eine schöne Idee für einen Roman. Wir erfahren eine Menge über den "Goldenen Handschuh", seinen Wirt und seine Gäste im Jahr 1974.

Herbert, der fast jeden Tag persönlich hinter dem Tresen steht, ist eine Attraktion, eine Berühmtheit, allein schon wegen ihm kommen die Leute. Er kann Verrückte, Irre und Wahnsinnige voneinander unterscheiden, einen Schreihals von einem Schläger und einen Dieb von einem Mörder. Er sieht einem an, ob er Geld in der Hosentasche hat oder einen Bellmann. Leseprobe

Seit 1962 hat der Handschuh rund um die Uhr geöffnet, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. Es gibt einen vorderen und einen hinteren Teil. Hinten sitzen die "Schimmligen", die sich von denen vorne dadurch unterscheiden, dass sie keine Namen haben. Vorne gibt es Soldaten-Norbert, Ritzen-Schorsch, Glatzen-Dieter und Doornkaat-Willy. Fritz Honka wird hier Fiete gerufen, und darauf ist er mächtig stolz. In seiner Stammkneipe ist er wer. Überall sonst ist er eine Missgeburt, ein armes Würstchen.

Fritz Honka hat kein Glück bei den Frauen

Fiete Honka gehört zu diesen bedauernswerten "Losern", die sich vergeblich eine junge Frau wünschen, die schön sein soll, gut kochen kann und immer im richtigen Moment den Mund hält. Darin unterscheidet er sich nicht von einigen reichen Herren aus gutem Hause, die eben auch zu hässlich sind, um einer Frau ihrer Wahl zu gefallen. Jedenfalls stellt Heinz Strunk den Sachverhalt so dar: "Fiete kriegt immer nur die, die dem Alkohol mindestens so verfallen sind wie er und die froh sind, bei ihm ein Dach über dem Kopf geboten zu bekommen. Er wohnt in der Zeißstraße 74 im Dachgeschoss."

Tja, wenn die Leute wüssten, was Herr Honka alles unter der Dachschräge entsorgt! Allmählich legt der Autor die ganze Hölle offen.

Ausgiebige Recherchen und authentische Beschreibung

Heinz Strunk kennt den "goldenen Handschuh", so, wie es ihn heute immer noch gibt, und er hat die Prozessakten im Hamburger Staatsarchiv studiert, um sich ein Bild von diesem Mann zu machen: "So viele Veröffentlichungen zum Fall Honka gibt es ja gar nicht", sagt Strunk. "Also das sind ja eher die paar Fakten, die man bei Wikipedia einsehen kann, und eine alte Zeitungsmeldung. Und journalistischen Ehrgeiz habe ich null komma null minus tausend, also das interessiert mich alles überhaupt nicht. Und es ist ja nur für mich, fürs Buch wichtig, dass ich weiß, wovon ich schreibe, und wenn ich nicht ins Blaue mir etwas ausdenke, wie Fritz Honka gelebt hat, sondern ungefähr, ungefähr Bescheid weiß, dass es verifiziert ist, wie man so schön sagt."

Mit verifizierten Fakten wartet hingegen seit Juli 2015 eine Multimedia-Doku des NDR über Fritz Honka auf, in der Heinz Strunk sich zur Person des Frauenmörders äußert.

Nicht ernst, aber auch nicht komisch

Der Ton dieser wahren Geschichte über Menschen am sozialen Abgrund ist nicht gerade ernst und betroffen, aber komisch ist er zum Glück auch nicht. Bloß erschreckend ungeschminkt. Heinz Strunk fängt das Milieu ein, vor dem man ganz schnell Reißaus nimmt, sollte man wider Erwarten mit ihm in Berührung kommen. Er stellt es gnadenlos authentisch dar, und auch mit einer gewissen sprachlichen Originalität. Das ist das Verdienst dieses 250-Seiten-Textes. Aber so herausragend, dass er als bestes Frühjahrsbuch ausgezeichnet werden müsste, ist er ganz gewiss nicht.

Der goldene Handschuh

von Heinz Strunk
Seitenzahl:
256 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Rowohlt
Bestellnummer:
978-3-498-06436-5
Preis:
19,95 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 26.02.2016 | 12:40 Uhr

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Romane

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