Buch der Woche: "Alle Toten fliegen hoch. Amerika" von Joachim Meyerhoff
Vorgestellt von Heide Soltau
Joachim Meyerhoff hat gerade wieder in Hamburg als Mephisto auf der Bühne gestanden, zusammen mit Edgar Selge als Faust. Die beiden sind ein Dream-Team und die bejubelten Stars der Inszenierung, die sie bereits 75 Mal gespielt haben.
2007 wurde Joachim Meyerhoff zum Schauspieler des Jahres gewählt - ein Ausnahmetalent mit beeindruckender Bühnenpräsenz. Dem großen, durchtrainierten Mann zuzuhören, wie er selbst Texte von Goethe und Kleist so spricht, dass man ihnen leicht folgen kann, ist ein Vergnügen. Sein Roman "Alle Toten fliegen hoch" ist der erste Teil einer Trilogie mit dem Titel: Amerika.
Der lange Weg zum Buch
Vor vier Jahren hatte Joachim Meyerhoff angefangen, Erzählabende über sein Leben zu entwickeln, sogar zum Berliner Theatertreffen wurde er damit eingeladen. Aus dem Material dieser Live-Performance ist der Roman entstanden. Und siehe da, der Ausnahmeschauspieler Joachim Meyerhoff kann auch schreiben. Das sei nicht einfach gewesen, sagt er: "Ich habe im Grunde über vier Jahre, in denen ich diese Theaterabende gemacht habe, nach einer Sprache gesucht. Und natürlich durch den Beruf, aus dem ich komme - dem des Schauspielers, der sich erstmal über Sprache mitteilt - andere, große Autoren auswendig lernt. Dadurch ist man ununterbrochen mit Sprache beschäftigt, und ich habe wirklich lange gebraucht, um mich das zu trauen, es selbst auch aus der Hand zu geben und nicht mehr der Vermittler zu sein. Es war ein langer Weg." Aber der Weg hat sich gelohnt.
Ein Landei geht nach Amerika. Das hat viel Komisches
Joachim Meyerhoff erzählt in seinem autobiografischen Roman, wie er, der 17jährige Arztsohn aus Schleswig - der Vater war Chef der Psychiatrie -, davon träumt, die deutsche Provinz zu verlassen und als Austauschschüler in die weite Welt nach Amerika zu gehen. New York oder Los Angeles sollen es sein, aber er landet in Laramie, einer Kleinstadt wie Schleswig, im Bundesstaat Wyoming, bei einer sehr religiösen Familie. Und das Schlimme: Er hat es sich selbst eingebrockt. Aus Angst, die Austauschorganisation würde ihn, den schlechten, unsicheren Schüler, sonst vielleicht nicht nehmen, hatte er sich beim Vorbereitungstreffen in Hamburg als bescheidenes, gläubiges Landei dargestellt.
Man kann sich das schwer vorstellen, wenn man dem großen, durchtrainierten Joachim Meyerhoff heute gegenübersteht, aber der 17jährige damals fühlt sich unsicher, unzulänglich, überfordert und ausgegrenzt von den anderen Jugendlichen beim Vorbereitungstreffen. Die kommen aus der Großstadt Hamburg und benehmen sich weltläufiger. "Ganz verstörend eben auch die Mädchen", erzählt Meyerhoff. "Bei uns in Schleswig, das schreibe ich ja, war das Schönheitsideal so ein Naturschönheitsideal, so ein bisschen rustikal. Die sollten hauptsächlich natürlich sein. Eigentlich so wie Jungs, Mädchen als Jungs. Und da waren auf einmal tatsächlich junge Frauen."
Die tragische Zeitenwende
Joachim Meyerhoff hat ein wunderbares Gespür für Komik. Seine Perspektive ist die des provinziellen Außenseiters, der staunend und verunsichert auf die Welt blickt und dabei zugleich zum Beobachter seiner selbst wird.
In die Zeit seines Aufenthalts in Amerika fällt ein anderes prägendes Ereignis, das wie ein Messer in sein Leben fährt: der tödliche Autounfall seines mittleren Bruders. So wird das Jahr zwischen 17 und 18 für ihn zu einer Zeitenwende, in der nachher nichts mehr so ist vorher. Der Autor erinnert sich:"Diese Zeitenwende war wirklich verbunden mit einem schmerzlichen Verlust, mit einem Wechsel der Kultur, mit einem Wechsel vom Alter, mit Erwachsenwerden. Also das war wirklich so flirrend und aufregend und gleichzeitig verstörend, so eine Zeit habe ich, glaube ich, selten im Leben wieder so intensiv gehabt."
Ein gelungener Entwicklungsroman
"Alle Toten fliegen hoch" nennt Joachim Meyerhoff sein autobiografisches Projekt. Entstanden sei es aus dem Bedürfnis, die Erinnerungen zu ordnen und Verlorengegangenes wiederzufinden. Er habe damals das Gefühl gehabt, der Weg vor ihm sei genauso gerade und fest wie der, der hinter ihm liege. Alles erschien ihm fade und austauschbar. Er sei sich so biografielos vorgekommen, sagt er: "Und da habe ich angefangen, das zu ergründen. Und auf einmal merkt man, wenn man die Vergangenheit in Bewegung setzt, dass man auch mehr Kraft für die Zukunft hat, dafür, die beweglicher zu gestalten."
Das Buch folgt dem Muster des klassischen Entwicklungsromans. Mit Witz und Charme und ganz ohne Larmoyanz erzählt er von den inneren und äußeren Nöten eines Jugendlichen, der mit der Reise nach Amerika auch die eigene Kindheit, das Reich der Toten und die Welt der Erwachsenen bereist. Das ist keine Selbstbespiegelung, sondern gelungene Literatur.
Alle Toten fliegen hoch. Amerika
- Verlag:
- Kiepenheuer & Witsch
- Bestellnummer:
- 978-3462042924
- Preis:
- 18,95 €