Ankunft ungarischer jüdischer Frauen und Kinder an der Bahnrampe in Auschwitz im Juni 1944. © picture alliance / akg-images Foto: akg-images

Der "Judenstern": Stigma und Zeichen brutaler Verfolgung

Stand: 20.09.2021 00:00 Uhr

Mit der "Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden" werden alle Juden im Deutschen Reich zum Tragen des "Judensterns" verpflichtet. Die Verordnung tritt zum 19. September 1941 in Kraft.

von Maren Stiebert

Nach einer Kennzeichnungspflicht für Juden gefragt, äußerte Adolf Hitler während einer Rede vor Kreisleitern der NSDAP 1937 gegenüber einem Journalisten: Dieses "Problem der Kennzeichnung" werde seit zwei, drei Jahren fortgesetzt erwogen und eines Tages so oder so natürlich auch durchgeführt. "Denn: Das Endziel unserer ganzen Politik ist uns ja allen ganz klar."

Pflicht zum Tragen ein letzter Schritt vor den Deportationen

Deportation polnischer Juden © dpa - Bildarchiv
Millionen Juden wurden während der NS-Zeit Opfer von Vertreibung und Mord.

Rund vier Jahre später trat am 19. September 1941 die "Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden" in Kraft. Sie verpflichtete die Juden zum Tragen eines gelben Sterns auf ihrer Kleidung. Für ihre Träger bedeutete sie soziale Isolation und Stigmatisierung. Diskriminierung, Entrechtung und Ausgrenzung erfuhren damit eine weitere Steigerung. Die Einführung des gelben Davidsterns, in der NS-Propaganda "Judenstern" genannt, war eine der letzten Maßnahmen der Nationalsozialisten vor Beginn der Deportation.

Gebrandmarkt und verhönt

Ein angenähter Judenstern in Großaufnahme © picture alliance / Bildagentur-online/Falkenstein
Die Aufschrift "Jude" wurde so gestaltet, dass sie die hebräische Schrift ins Lächerliche zog.

Das handtellergroße Abzeichen, dem Hexagramm des Maggen-Davids (Davidstern) nachempfunden, mussten alle Juden ab sechs Jahren sichtbar auf der linken Brustseite der Kleidung tragen. Die Aufschrift "Jude" war so gestaltet, dass sie die hebräische Schrift verhöhnte. Gezwungen von der Gestapo musste die jüdische Gemeinde selbst die Sterne für 10 Pfennig pro Stück verkaufen. Ausgenommen vom Tragezwang waren Juden, die mit einem nichtjüdischen Partner verheiratet waren, also in einer sogenannten privilegierten Mischehe lebten.

Rückgriff auf antisemitische Tradition des Mittelalters

Bei der Wahl des diffamierenden Symbols griffen die Nationalsozialisten auf die jahrhundertealte Geschichte des Antisemitismus zurück. Bereits im Mittelalter wurden Juden fast überall im christlichen Europa gezwungen, bestimmte Abzeichen zu tragen. Abhängig von Land oder Gebiet mussten sie meist gelbe Flecken, Sterne oder Ringe an der Kleidung tragen oder den sogenannten Judenhut aufsetzen.

Im von Deutschland besetzten Polen war der "gelbe Stern" bereits ab November 1939 für alle Juden Pflicht.

Verordnungen und Gesetze besiegelten die Ausgrenzung

Ungarische Juden an der Rampe in Auschwitz-Birkenau 1944, aufgenommen von der SS. © picture-alliance/akg-images Foto: akg-images
Auch Frauen, Kinder und Greise wurden Opfer der systematischen Juden-Vernichtung.

Die schrittweise Entrechtung und Ausgrenzung der Juden hatte nur wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begonnen. Immer neue Gesetze und Verordnungen hatten entwürdigende Auswirkungen auf ihr Leben. Durch Berufsverbote und Enteignungen von Betrieben wurde ihre wirtschaftliche Existenz nach und nach vernichtet. Und sie wurden aus dem öffentlichen Leben verdrängt: Für Juden bestanden Ausgehbeschränkungen, Kinder durften keine öffentlichen Schulen mehr besuchen, das Betreten von Theatern, Kinos oder Museen war ihnen verboten. Auf Parkbänken prangte die Aufschrift "Nur für Arier", an den Eingängen zu Restaurants hingen Schilder mit der Warnung "Juden sind hier unerwünscht".

Weitere Informationen
Brennende Synagoge in der Bergstraße in Hannover am 10. November 1938. © HAZ-Hauschild-Archiv, Historisches Museum Hannover. Foto: Wilhelm Hauschild

Angeordneter Nazi-Terror: 85. Jahrestag der Reichspogromnacht

Auf Geheiß der Nationalsozialisten brennen am 9. November 1938 auch in Norddeutschland etliche Synagogen und jüdische Geschäfte. mehr

Ab Oktober 1938 mussten alle Juden ihre Reisepässe abgeben. Neue Ausweise erteilten die Behörden nur begrenzt, gekennzeichnet waren sie mit einem eingestempelten "J". Ab Anfang 1939 mussten Juden Kennkarten bei sich führen und einen Zwangsvornamen annehmen. Männer erhielten den Zusatz "Israel", Frauen den Namen "Sara".

Gettoisierung am Vorabend der Deportationen

49 im Juni 2018 frisch verlegte "Stolpersteine" mit Rosen darauf im Hamburger Stadtteil Langenhorn. © dpa/picture alliance Foto: Ulrich Perrey
Heute zeigen "Stolpersteine" vor Hauseingängen an, wo Juden vor ihrer Deportation gelebt hatten.

Zu den unzähligen Restriktionen zählte auch die bereits erwähnte Polizeiverordnung vom September 1941. Sie beinhaltete nicht nur die Kennzeichnungspflicht durch den "Judenstern". Sie untersagte Juden auch, Orden und sonstige Ehrenzeichen zu tragen, und sorgte außerdem dafür, dass sie ihren Wohnbezirk ohne eine polizeiliche Genehmigung nicht mehr verlassen durften. Dies bedeutete ein weiteren Schritt im Prozess der Gettoisierung, der durch das "Gesetz über Mietverhältnisse von Juden" vom 30. April 1939 bereits eingeleitet worden war. "Arische" Vermieter konnten Juden demzufolge jederzeit fristlos kündigen, sofern eine neue Unterkunft vorhanden war. Gleichzeitig verpflichtete das Gesetz Juden, die über Wohnraum verfügten, Wohnungslose bei sich aufzunehmen.

Die Folge war die Entstehung von sogenannten Judenhäusern. Jeder Wohnungswechsel musste zudem mit Unterstützung der jüdischen Gemeinde genau registriert werden. Ab dem 1. April 1942 wurden auch die Wohnungen mit einem "Judenstern" neben dem Namensschild gekennzeichnet. Die Registrierung, räumliche Zusammenlegung und Kennzeichnung der Juden bot den Nationalsozialisten die Möglichkeit zur "perfekten" Überwachung. Die Maßnahmen ermöglichten in der Folge die planmäßige Deportation und Ermordung der Juden.

Weitere Informationen
Die Aufnahme von 1941 zeigt eine Gruppe jüdischer Frauen und Kinder auf einer Straße in Minsk. © Bundesarchiv Foto: Ernst Herrmann

Juden-Deportation: Von Hamburg in das Grauen von Minsk

Am 8. November 1941 werden rund 1.000 Hamburger Juden nach Minsk deportiert. Fast alle sterben unterwegs oder werden später getötet. mehr

Gebäude der Wannsee-Konferenz in Berlin © dpa Foto: Stephanie Pilick

Wannsee-Konferenz: Wie Bürokraten den Holocaust planten

Die Judenverfolgung und -vernichtung wurde systematisch geplant - unter anderem auf der berüchtigten Konferenz am 20. Januar 1942. mehr

Gedenkstein an die Opfer des Holocaust auf dem Jüdischen Friedhof in Rostock. © picture-alliance/ dpa/dpaweb Foto: Bernd Wüstneck

Holocaust: Der Völkermord der Nazis an den Juden

Mehr als sechs Millionen Juden wurden während der NS-Zeit ermordet. Daran erinnert jedes Jahr am 27. Januar ein Gedenktag. mehr

Dieses Thema im Programm:

12.11.2001 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit

Mehr Geschichte

Kaufhaus-Chef Franz Weipert 1974 bei der ersten offiziellen Fahrt der Gondelbahn über den Bootshafen in Kiel. © Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte Foto: Friedrich Magnussen

Als man in Kiel zum Einkaufen mit der Gondelbahn fahren konnte

Heute vor 50 Jahren wurde in Kiel eine ganz besondere Attraktion eingeweiht: die Weipert-Bahn, die über den Bootshafen führte. mehr

Norddeutsche Geschichte