Sendedatum: 20.01.2014 22:45 Uhr

Gigantisches Netz-Projekt zum 1. Weltkrieg

Es ist ein historischer Schatz und eine ganz besondere Zusammenarbeit: Zum 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs haben zahlreiche Filmarchive aus 15 europäischen Ländern jetzt gemeinsam nie gesehenes Filmmaterial aus der Zeit der Ersten Weltkriegs digitalisiert, online veröffentlicht und frei zugänglich gemacht. Das Deutsche Filminstitut in Frankfurt koordiniert das europäische Projekt "European Film Gateway 1914" und hat schon mehr als 650 Stunden historisches Filmmaterial zum Weltkrieg gesammelt. Insgesamt 2.500 Streifen sollen bis Mitte Februar online gestellt sein: von Propaganda-Filmen bis zu Dokumentarfilmen über das Leid der Zivilbevölkerung.

Jeder kann sich selbst ein Bild machen vom Ersten Weltkrieg

Claudia Dillmann vom Deutschen Filminstitut Frankfurt. © NDR
Claudia Dillman ist Leiterin des Deutschen Filminstituts und koordiniert das Projekt European Gateway 1914.

Italienische Soldaten ziehen mit Mountainbikes in den Ersten Weltkrieg. In Palästina nutzen Schotten die Kampfpause für eine kleine Tanzeinlage. Es gibt auch viel Skurriles zu entdecken in dem Erste-Weltkrieg- Internet-Filmportal. Je nach Interesse kann sich jeder selbst ein Bild machen vom sogenannten Großen Krieg. "Wir haben in den Diskussionen mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Archive immer auch darüber gesprochen, welche Bedeutung der Erste Weltkrieg in den jeweiligen Ländern hat", erzählt Claudia Dillmann vom Deutschen Filminstitut Frankfurt. "In  Deutschland ist der Erste Weltkrieg ein Stück weit überlagert vom Zweiten Weltkrieg und vom Holocaust insbesondere, aber in anderen Ländern spielt dieser 'Große Krieg' eine weitaus bedeutendere Rolle als bei uns."

An Rachitis erkrankte Kinder stehen ohne Bekleidung nebeneinander. Vor sich halten sie ein Schild mit ihrer Altersangabe. © Deutsche Filminstitut
1919: Diese Kinder sind aufgrund von Mangelernährung an Rachitis erkrankt.

Mit nur wenigen Mausklicks kommt man zum Beispiel den Opfern des Ersten Weltkriegs näher. So filmte 1919 ein amerikanischer Arzt an Rachitis erkrankte Kinder, ein anderer Film zeigt Verletzte am Rand der belgischen Schlachtfelder. Die Filme verändern unser Bild von diesem schon so fernen Krieg. Der dokumentarische Blick auf die Verwüstungen des Kriegs fehlte bislang oft noch. "Natürlich merkt man auf der einen Seite, aber das bedarf auch alles noch der genaueren Untersuchung, dass sehr viele dieser Filme, die angeblich an der Front entstanden sind, nachinszenierte Geschehen darstellen", räumt Dillmann ein. "Wir müssen auch nochmal genauer hingucken, wo es sich tatsächlich um dokumentarisches Material handelt, und wo es hinter den Frontlinien galt, Film auch als Propagandamittel zu entwickeln."

Das Film-Portal könnte zu mehr historischer Klärung beitragen

Christopher Clark, Historiker.
In "Die Schlafwandler" beschreibt Clark differenziert die Gründe, die zum Ersten Weltkrieg führten.

Als entscheidende Kriegstreiber galten lange Zeit die Deutschen. Doch Forscher sehen die Gemengelage, die zum Ersten Weltkrieg führte, heute differenzierter: Nicht nur eine Nation trägt die Schuld. Ein wichtiges Buch zum Thema Erster Weltkrieg hat der Historiker Christopher Clark geschrieben: "Die Schlafwandler". Er zeigt, dass der Erste Weltkrieg keinesfalls unvermeidlich war. "Diese Krise war das komplexeste Ereignis der Moderne, womöglich das komplexeste Ereignis aller Zeiten", sagt er. "Es war ungeheuer komplex, mit vielen autonomen Akteuren. Interaktiv, multipolar, extrem undurchschaubar. Für uns, aber auch für die damaligen Handelnden."

Noch ist nicht klar, ob dieses Europäische Film-Portal mehr Klärung bringen kann. Laien wie Fachleute sind jedenfalls eingeladen, gezielt in der Bildwelt unserer Geschichte vor 100 Jahren zu wühlen. "Viele arbeiten im Moment mit Themen zum Ersten Weltkrieg", sagt Claudia Dillmann. "Und darüber hinaus gibt es eben diese Spezialisten, die nur auf neues, noch nie gesehenes Material gewartet haben. Wir haben als Filmarchive nicht unbedingt die Aufgabe, es zu interpretieren. Das überlassen wir anderen. Aber für uns ist es wichtig, Informationen zu bekommen, die das Wissen über solche Filme nochmal anreichern."

Weitere Informationen
Friedrich Christiansen (Mitte) lässt sich eine Zigarette anzünden. © Bundesarchiv

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur - Das Journal | 20.01.2014 | 22:45 Uhr

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