Stand: 12.12.2007 23:00 Uhr

Bloggerszene - Die Empörung über juristische Behinderungen

Es ist der größte private Fussballblog Deutschlands: bundesligaforen.de. Doch momentan zweifelt Jürgen Bechstein daran, ob es eine gute Idee war, das Forum ins Leben zu rufen. Denn ein User hatte ein kostenpflichtiges Foto eingestellt, weswegen Bechstein eine Abmahnung über 700 Euro erhielt. Der Grund: Ein Blog-Betreiber haftet für all das, was in seinem Blog passiert und kann dafür haftbar gemacht werden. So sehen es zumindest gewisse deutsche Gerichte wie das Hamburger Landgericht. Die Folge: Immer mehr Blog-Betreiber sehen sich gezwungen, Forumsbeiträge vorab zu kontrollieren. Zapp über eine schwierige Rechtslage, die eine freie Meinungsäußerung teilweise unmöglich macht.

Anmoderation:

Wer nicht zu cholerischen Anfällen neigt, aber trotzdem gerne seine Meinung äußert, der kann das beim bloggen im Internet, Millionen tun das auch. Am Anfang war hier alles erlaubt, doch seit Anfang des Jahres kann ein Blog-Betreiber für fast alles, was in seinem Blog veröffentlicht wird, verantwortlich gemacht werden. Für die klassischen Medien macht diese Kontrolle durchaus Sinn, für die kommentarfreudige Blogosphäre bringt die neue Rechtslage dagegen Schwierigkeiten. Maik Gizinski über die Kontrolle eines eigentlich unkontrollierbaren Mediums.

Beitragstext:

Ihm gehört es: Das größte nicht-kommerzielle Fußballforum in Deutschland. Das erste Mal seit sieben Jahren zweifelt Jürgen Bechstein, ob es eine gute Idee war, die Fußballforen-Community zu gründen. Bislang hat ihm sein Hobby Spaß gemacht, langsam vergeht ihm der. Der Grund: Ein anonymer Internetuser hat dieses doch so unspektakuläre Foto in sein Forum eingestellt. Jürgen Bechstein, bundesligaforen.de: "Dieses Foto war in einem harmlosen Beitragslauf, ein sogenannter Thread, dringestanden, wo ein User einen anderen damit begrüßt hat: Hallo, zum Frühstück serviere ich heut einen Tee. Und, dann kommt eine Abmahnung über 700 Euro." Vom Fotografen. Viele User veröffentlichen oft unbedacht alles mögliche im Internet. Die Quittung bekommen andere. Jürgen Bechstein soll dafür zahlen, dass jemand, den er nicht kennt, in seinem Forum Urheberrechte verletzt hat - wohlgemerkt ohne sein Wissen. Sascha Kremer, Rechtsanwalt von Jürgen Bechstein: "Egal, ob du weißt, was dort passiert oder nicht, du bist für alles voll in der Haftung. Du musst immer damit rechnen, wegen eines Nutzerbeitrags, der morgens um 3:30 Uhr eingestellt wird und zufällig dann um 4:00 Uhr von jemandem abgerufen wird, Unterlassungserklärungen abzugeben, Anwaltskosten in Höhe von mehreren hundert oder sogar tausend Euro zu bezahlen und in jedem einzelnen Fall zu kontrollieren: Ist das rechtlich in Ordnung, was da passiert oder nicht." Bechstein erfährt, dass das Foto nicht rechtefrei ist und löscht es sofort aus dem Forum. Zu spät, wenn es nach den Richtern des Hamburger Landgerichts geht: Er müsse alle Beiträge vorab auf mögliche Rechtsverletzungen kontrollieren. Sascha Kremer: "Der Aufreger ist daran, dass diese Überwachungspflichten, die man von den Hamburger Gerichten als Betreiber einer solchen Plattform auferlegt bekommt, in der Praxis nicht einhalten kann." Jürgen Bechstein: "Ich müsste Leute einstellen, in einer Zahl, die ich nie betreiben könnte. Stellen Sie sich vor, das Forum hat keine Umsätze, dass, was reinkommt, über einen kleinen Werbebanner, das finanziert unseren Server. Und, dann könnte das Ganze nicht mehr als Hobby laufen, dann müsste ich das kommerzialisieren, und das will ich nicht."

Altes Presserecht

Betreiber von Foren und Blogs können sich im Moment nicht sicher sein, auf was sie achten müssen und ab wann sie haften. Viele Gerichte entscheiden: Erst wenn sie von Rechtsverletzungen auf ihren Seiten erfahren haben und nichts unternehmen. Das Landgericht Hamburg urteilt dagegen wesentlich strenger. Es scheint, als wollten manche Richter altes Presserecht auf neue Formen der Internetkommunikation anwenden. Mercedes Bunz, Chefredakteurin "Tagesspiegel Online": "Da wird der private kleine Blogger, wird so behandelt, als wäre er ein großes Verlagshaus wie der Tagesspiegel, aber es gibt natürlich einen Unterschied. Es ist klar, dass ein Haus wie der Tagesspiegel einen gewissen Aufwand betreiben muss und eine gewisse Qualitätskontrolle in den Kommentaren, aber der private Blogger sollte dafür nicht verurteilt werden können. Er kann auch diesen Aufwand nicht leisten." Frank Metzing, Medienanwalt: "Die Problematik ist ganz einfach, dass die Rechtssprechung noch nicht erkannt hat, dass das Internet sehr viel von Laien benutzt wird, die eben nicht professionell journalistisch arbeiten, und dass insofern da mehr differenziert werden müsste." Auch sein Mandant betreibt nebenbei ein Internetforum und braucht nun einen Anwalt. Das Forum von Marc Döhler beschäftigt sich mit Call-in-Sendungen im Fernsehen und ihren manchmal bemerkenswerten Anrufern. Ausschnitt einer "Call-in-Sendung": "Klaus, es geht um eine extrem hohe Gewinnsumme. Welches Tier haben Sie gefunden?" Klaus: "Grüme!" "Wie bitte?" Klaus: "Grüme!" Marc Döhler, call-in-tv.de: "Da stellt sich mir einfach die Frage: Kann der Anrufer wirklich so dämlich sein, dass er die Aufgabenstellung nicht versteht. Weil, es passiert nicht nur einmal, es passiert eigentlich regelmäßig."

Wie die Zeitung von gestern

Ausschnitt einer "Call-in-Sendung": "Ralf, welches Tier wird gesucht? Ralf: "Rügen!" "Hallo, wie bitte?" Ralf: "Rügen!" "Was sagen Sie?" Ralf: "Rüüügen!" Solche Anrufer wurden von Usern in Döhlers Forum "Fake-Anrufer" genannt. Die Firma Callactive, die die Sendungen produziert, klagte, aber nicht gegen die unbekannten Schreiberlinge. Sie will den Betreiber der Seite verantwortlich machen. Marc Döhler: "Ich bin auch der Meinung, dass ich mich der Verantwortung nicht entzogen habe, weil, wie gesagt, ab Kenntnisnahme habe ich sofort reagiert, habe die strittigen Beiträge entfernt." Einer der Beiträge, um den es geht, stand gerade mal 130 Sekunden online. Auch dafür soll er zahlen. Döhler schlittert in einen womöglich verhängnisvollen Rechtsstreit. Marc Döhler: "Für mich kann er das persönliche finanzielle Aus bedeuten, denn da sind immerhin Kosten von rund 30.000 Euro, die im Raum stehen, an aufgelaufenen Abmahnungen. Und wie gesagt, das Forum ist weder werbefinanziert, noch irgendwie sonst irgendwie finanziert, sondern die ganzen Kosten laufen aus meiner eigenen Tasche." Damit Call-in-TV für ihn nicht noch teurer wird, ist Döhler vorsichtig geworden. Neue Nutzer können nicht mehr in Echtzeit mitdiskutieren, ihre Beiträge werden vorab kontrolliert. Eine Vorabkontrolle muss nach Ansicht des Hamburger Landgerichtes auch der Medienjournalist Stefan Niggemeier einführen. In seinem Blog ging es ebenfalls um einen unzulässigen Kommentar zu Callactive. Er stand für wenige Stunden im Netz. Die Firma klagte - mit Erfolg - und Folgen für die Blogger. Mercedes Bunz: "Es kann sich keine Diskussion mehr entwickeln, spontan. Man muss immer warten, bis der Blogbetreiber wieder mal kurz Zeit hat, im Internet seine Kommentare frei zu schalten, und das verändert natürlich die gesamte Internetkultur." Jürgen Bechstein: "Wenn ich dann drei Tage später mich dran setzen würde und hätte die Zeit und die Möglichkeit, das alles zu kontrollieren, dann wäre das, wie die Zeitung von gestern zu lesen."

Seite ganz dicht machen?

Solange jeder, der ein Forum oder Blog im Internet betreibt, Gefahr läuft, für alles jederzeit haften zu müssen, haben sie wohl keine andere Wahl: Entweder spontane Diskussionen verbieten oder ihre Seite ganz dicht machen. Jürgen Bechstein: "Von daher gilt es, eine eindeutige Rechtssprechung in Deutschland zu finden, dass eben hier freie Meinungsäußerung stattfinden kann unter Wahrung gewisser Regeln. Gewisse Regeln insofern, man kann nicht alles im Internet schreiben, nur weil es eine freie Plattform ist, aber man muss das Medium nutzen können, um einfach eine freie Diskussion, eine freie Meinungsäußerung zuzulassen."

Abmoderation:

Interessant ist, dass der Blogger Stefan Niggemeier, von dem gerade schon die Rede war, Journalist des Jahres geworden ist. Das "MediumMagazin" hat ihn dazu gekürt, weil er, so die Begründung der Jury, ein Zeichen für Qualitätsjournalismus im Internet setzt. Er hat's verdient!

250 Sendungen Zapp, da bleibt es natürlich nicht aus, dass wir als kritisches Magazin dem ein oder anderen auch mal auf den Schlips getreten sind. Und vielleicht nicht immer ganz so nett waren. Weil aber das Jahr nun zu Ende geht und auch wir langsam zur Besinnung kommen, sagen Anne Ruprecht und Lena Wundenberg jetzt - stellvertretend für die ganze Redaktion - einfach mal sorry. (Collage)

Und diese Entschuldigung muss jetzt natürlich auch für die nächsten 250 Sendungen gelten. Das war's für heute und für dieses Jahr! Die nächste Zapp-Sendung gibt's dann am 9. Januar. Und es wär schön, wenn wir Sie dann wiedersehen! Danke für's Zuschauen heute und Tschüss!

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 12.12.2007 | 23:00 Uhr

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