Sendedatum: 28.03.2012 23:20 Uhr

Unvollständiges Bild: Berichterstattung aus Syrien

von Gita Datta und Bastian Berbner

Zerschossene Häuser, Bomben, Verletzte, Anti Assad Demonstrationen: Das sind die Bilder, an die wir beim Stichwort "Syrien" denken. Transportiert von den Medien, aufgenommen vor allem in der Stadt Homs. In der Hochburg des Widerstandes lässt sich der gewaltsame Konflikt am eindrucksvollsten abbilden. Doch sind diese Bilder tatsächlich die ganze Wahrheit? Diese Frage hat sich ein deutscher Journalist gestellt und hat heimlich in Homs und bei den Assad Anhängern gefilmt. Um sich nicht selbst zu gefährden, gab er seine Identität bisher nicht preis. Mit ZAPP spricht er zum ersten Mal offen.

 

VIDEO: (7 Min)

In der Tagesschau heißt es: "Syrien droht nach der gescheiterten Resolution im UN-Sicherheitsrat immer mehr im Bürgerkrieg zu versinken." (ARD, tagesschau, 06.02.2012), im "Heute Journal": "Die wenigen Informationen, die uns erreichen, lassen auf Fürchterliches schließen.", und die Tagesthemen berichten: "Über ein Land in Angst und die Menschen, die sich von der restlichen Welt allein gelassen fühlen."(ARD, Tagesthemen, 15.3.2012).

Angst, Gewalt. Bürgerkrieg - Das Bild Syriens in vielen Nachrichtensendungen. Diese Bilder zeigen eine andere Realität: Ruhe und Alltag im Nordwesten Syriens. Hier leben Anhänger von Präsident Assad. Die bewaffneten Kämpfe sind weit weg. Diese Aufnahmen machte der Journalist Marcel Mettelsiefen. Im letzten halben Jahr war er immer wieder undercover in Syrien, reiste mit einem Touristenvisum ein, berichtete vor allem aus Homs, der Hochburg des Protests.

Medien zeigen nicht den ganzen Konflikt

Jetzt war er in Assads Heimat, um mit Regimetreuen zu sprechen. Mit denen, die in den Medien bislang kaum eine Rolle spielen.

"Es herrscht ein Ungleichgewicht in der Berichterstattung. Wenn ich selber das betrachte, was ich bisher gemacht habe innerhalb des Landes, dachte ich mir. Ich muss zumindest einmal reingehen und die zu Wort kommen lassen, die auf Seiten der Regierung und des Regimes sind und auch diejenigen, das ist ja das Interessante, die sich noch nicht entschieden haben oder die still sind.", begründet der Kameramann, Marcel Mettelsiefen, "Wir sind, glaube ich, in einem Medienkrieg, der innerhalb und auch außerhalb des Landes geführt wird."

Der Journalist trifft Syrer, die dem Diktator treu ergeben sind. Dieser Mann zeigt die Todesanzeigen von Mitgliedern der Assad-Truppen, getötet natürlich von "Terroristen", so heißen die Rebellen in der Sprache der Regierungspropaganda. Viele hier gehören zur religiösen Minderheit der Alawiten, wie Assad selbst. Eine einflussreiche Elite im Land, die kein Interesse am Sturz des Machthabers hat. Denn für Millionen bedeutet Assads Herrschaft Stabilität, Wohlstand und Sicherheit.  In den Nachrichten kommt diese Welt kaum vor. Obwohl sie erklärt, warum Assad immer noch an der Macht ist. Berichtet wird hauptsächlich aus den Zentren der Rebellion. Wochenlang geht es sogar nur um ein Stadtviertel von Homs.

Christoph Maria Fröhder, ehemaliger Sonderkorrespondent der ARD: "Schauen sie, wenn sie sich auf Homs konzentrieren, dann entsteht ein völlig falsches Bild [...] Wenn ich höre, dass sich Leute in Homs drei Wochen aufhalten, dann kann ich nur Elend, dann kann ich nur Übergriffe, dann kann ich nur Tote und Blut sehen, aber da ist nicht Syrien und das ist nicht der gesamte Konflikt."

 

ZAPP befragt hierzu den zweiten Chefredakteur von ARD-aktuell, Thomas Hinrichs: "Würden Sie sagen, insgesamt bekommt der deutsche Zuschauer ein adäquates Bild von der Lage in Syrien?"

"Die Frage stellt sich an vielen Brennpunkten der Welt.", gibt Hinrichs zu bedenken, "Bekommen wir ein adäquates Bild von China? Bekommen wir ein adäquates Bild aus Russland? Bekommen wir ein adäquates Bild aus Amerika? Sie werden immer nur Ausschnitte zeigen können, Tatsache ist, dass sehr viele Menschen, Tausende von Menschen in Syrien gestorben sind. Das bilden wir ab. Es herrscht dort eine Art Bürgerkrieg und diese Bilder muss man einordnen."

Die Echtheit der Rebellen-Videos ist schwer zu beurteilen

Das Problem: Viele Aufnahmen stammen aus dem Internet, aufgenommen von Aktivisten in den Protesthochburgen. Redaktionen sind darauf angewiesen. Denn nur wenige westliche Journalisten wagen sich zurzeit nach Syrien.

Diese Bilder zeigen immer dieselbe Perspektive, den mutigen Freiheitskampf der Syrer gegen den Diktator. Dass sich nicht das ganze Land daran beteiligt, kommt beim Zuschauer kaum an. Ein weiteres Problem: Die Echtheit dieser Videos ist schwer zu beurteilen.

Marcel Mettelsiefen: "Die Wirklichkeit vor Ort ist dramatisch und katastrophal, niemand bestreitet das. Gleichzeitig haben westliche Medien den Aktivisten eine Plattform geschaffen, um diese Wirklichkeit zu transportieren. Es kommt immer mehr dazu, dass bestimmte Videos gefakt werden, dass Sachen übertrieben werden oder gar komplett inszeniert."

Ein Beispiel: Dieser Aktivist aus Homs nennt sich Khaled Abu Salah. Er taucht in vielen Videos auf Youtube auf. In wechselnden Rollen. Anfang Februar angeblich schwer verletzt nach einem Angriff, ein paar Tage später als Reporter. Wieder ein paar Tage später ist Abu Salah angeblich erneut verletzt, drei Tage danach quicklebendig im Zentrum von Homs zu sehen. Er ruft die internationale Gemeinschaft auf, die Gewalt in Syrien zu beenden. Authentisch oder inszeniert?

Auch die Tagesthemen senden Bilder von Abu Salah: "Helft uns, schreit dieser Mann, die Verletzten zu behandeln und die zu retten, die überlebt haben. Hier überall in Baba Amr bombt das Regime Assad." (ARD, tagesthemen 22.02.2012).

Thomas Hinrich: "Khaled Abu Saleh ist mir persönlich nicht bekannt. Ich kann ihnen nur sagen, wie wir mit dem Bildmaterial umgehen. Wenn es eine Quelle gibt, nur eine Videoquelle über ein bestimmtes Ereignis, taucht es in der Regel nicht auf."

Nach einer Prüfung kommt die Redaktion nun zu der Einschätzung, dass man den Ausschnitt besser nicht genommen hätte.

Christoph Maria Fröhder: "Ich würde diese Bilder reduziert einsetzen, da wo man gar keine eigenen hat, deutlich machen, dass es Fremdbilder sind, vielfach bewegte Bilder einfrieren zu Standbildern und so spärlich wie möglich einsetzten, weil alles andere ist ein hohes Risiko, das wir uns auf den Pfad begeben von Leuten, die uns letztlich eine Situation versuchen wollen vorzugaukeln, die so in der Wirklichkeit gar nicht bestanden hat. Und ich kann es den Leuten noch nicht mal übel nehmen. Sie sitzen zu Deutsch gesagt in der Scheiße und sie versuchen das nach außen zu bringen, was ihnen angetan wird."

Reporter vor Ort: Die beste Alternative zu Bildern mit zweifelhafter Herkunft. Marcel Mettelsiefen war auf beiden Seiten des Bürgerkriegs unterwegs. In Homs, embedded bei den Rebellen. Unter Dauerbeschuss und Einsatz seines Lebens.  Aber eben auch auf der regimetreuen Seite.

Marcel Mettelsiefen: "In einem Land wo man momentan mit Bildern Krieg führt, einem Land wo Aktivismus und Journalismus in einer sehr, sehr perfiden Weise vermischt werden, ist unabhängiger Journalismus umso wichtiger."

Viele Redaktionen interessierten sich für seine Aufnahmen aus Homs. Es entstanden Filme für ARD, ZDF, CNN und andere. "Der Spiegel" zeigte Mettelsiefens Fotos von der brutalen Wirklichkeit aus der Rebellenhochburg.

Die aktuellen Bilder aus den Pro-Assad-Teilen des Landes sind nicht so spektakulär. Aber genauso wichtig, um den Konflikt in Syrien zu verstehen.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 28.03.2012 | 23:20 Uhr

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