Sendedatum: 24.08.2011 23:35 Uhr

Politiker und die Angst vor dem Internet

Politiker haben es ja immer gerne, wenn sie sich als tatkräftige, handelnde Personen darstellen können. Diesen Sommer haben einige unserer Abgeordneten und Regierungsvertreter etwas gefunden, gegen das sie vorgehen wollen: Das Internet. Das Internet ist nämlich böse und gebiert Böses, haben sie entdeckt. Das Attentat von Norwegen etwa: eine Folge des Internet. Und weil dieses Internet so gefährlich ist, wollten sie versuchen, es in den Griff zu kriegen. Der eine so, der andere so. ZAPP über den fragwürdigen Feldzug gegen ein Medium.

VIDEO: (6 Min)

"Diese Tat wurde zwar von einem Einzeltäter begangen, aber im Internet geboren." (Hans-Peter Uhl/CSU)  

"Wenn das Internet zum Tatort wird und wenn der Rechner zum Tatmittel wird..." (Wolfgang Bosbach/CDU)

"Ja, die Gefahr wächst, und zwar von Woche zu Woche." (Hans-Peter Friedrich/CSU)

Der Chefredakteur von "sueddeutsche.de", Stefan Plöchinger, meint: "Alles, was Politiker sagen, ist immer zu einem gewissen Bestandteil Taktik. Und alles, was Politiker zum Internet sagen, ist ein großes Profilierungsfeld."

Im Juni konnte sich Innenminister Hans-Peter Friedrich profilieren. Er eröffnete das "Cyber-Abwehrzentrum" der Bundesregierung - die Antwort der Politik auf die Gefahren aus dem Netz. Damals sagte Friedrich: "Jetzt beschreiten wir mit diesem Cyber-Abwehrzentrum nochmal eine neue Dimension des Abwehrkampfes, weil auch die Angreifer immer in neue Dimensionen vordringen." (Phoenix, "Cyberwar – Angriff aus dem Netz", 16.06.2011).

Nach Meinung von Geraldine de Bastion vom Verein Digitale Gesellschaft ist das Cyber-Abwehrzentrum "schon so ein groß klingendes Wort, was gleich, also ich hab da gleich Bilder im Kopf mit Abwehrschirmen und vor allem viel Manpower und viel Maschinerie und wenn man mal ein bisschen hinter die Kulisse guckt, ist es ja eigentlich genau das, was dabei fehlt".

Der Name ist reine Polit-PR. Das Abwehrzentrum ist lediglich eine Kommunikationsstelle mit zehn  Mitarbeitern. Doch viele Medien fallen auf die Nebelkerze herein, feiern Friedrich als Cyber-Kämpfer.

Mehr Sicherheit oder mehr Überwachung?

Auch Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, ist ein Kämpfer für mehr Netzsicherheit. Kurz nach den Attentaten in Norwegen prescht Uhl vor und behauptet öffentlichkeitswirksam: "Diese Tat wurde zwar von einem Einzeltäter begangen, aber im Internet geboren." (ARD, "Tagesschau", 25.07.2011).

Richtig ist, dass Breivik über das Internet seine radikalen Gedanken verbreitet, seine menschenverachtenden Thesen mit Gleichgesinnten ausgetauscht hat. Dann tötete er 77 Menschen. Für Hans-Peter Uhl ist das Internet ein Mittäter.

Stefan Plöchinger: "Das folgt einer Logik, die man immer viel zu oft in Deutschland findet. Man tut so, als wär das Medium schuld an dem, was über das Medium verbreitet wird. Man würde auch nicht bei einer Zeitung auf die Idee kommen, das Papier sei schuld an den Worten, die man in der Zeitung findet."

Geraldine de Bastion: "Da ist sich jemand einfach nicht zu schade, eine so schreckliche Tat für seine eigene Politik zu instrumentalisieren."

Denn Uhl benutzt die Morde, um einen starken Staat zu fordern: "Wenn das Internet Tatort ist, muss der Staat sich ums Internet kümmern. Wo findet Volksverhetzung statt, wo sind Hassprediger? Das geht nur per Vorratsdatenspeicherung." (ARD, "Tagesschau", 25.7.2011).

Telefon- und Internetüberwachung in Deutschland als Antwort auf die Anschläge in Norwegen. Die Vorratsdatenspeicherung ist seit Jahren die angestrebte Allzweckwaffe der Konservativen. Doch Kritiker warnen, dass das Kontrollinstrument wirkungslos sei und die Freiheitsrechte von Bürgern gefährde. Hardliner wie Siegfried Kauder (CDU) halten dagegen: "Es ist Mode geworden, die Freiheitsrechte des Bürgers in den Vordergrund zu stellen, dabei vergisst man, dass der Bürger auch einen Anspruch auf Sicherheit, auf innere Sicherheit hat." (ZDF, "heute-journal", 1.8.2011).

Stefan Plöchinger: "Ich glaube, dass für Politiker eines Lagers, das sich sehr stark über staatliche Absicherung vor Gefahren definiert und das ist das konservative Lager, auch ein sehr großes Thema ist, die Kontrolle nicht zu verlieren."

Populistische Forderungen?

Auch Innenminister Friedrich würde das Netz gern stärker kontrollieren. Als Reaktion auf die Morde in Norwegen kritisiert er in einem Spiegel-Interview die Anonymität im Netz, fordert Blogger sollten mit "offenem Visier" argumentieren und "politisch motivierte Täter wie Breivik finden heute vor allem im Internet jede Menge radikaler, undifferenzierter Thesen, sie können sich dort von Blog zu Blog hangeln und bewegen sich nur noch in dieser geistigen Sauce" ("Der Spiegel", 08.08.2011).

Geraldine de Bastion: "Das Böse entsteht genauso wenig im Internet wie das Gute, sondern Kriminalität und böse Gedanken entstehen im Menschen. Kriminelle Handlungen finden meist in der realen Welt statt und das Internet kann als ein Medium dienen, um zu kommunizieren, um Vorbereitungen zu treffen, um zu organisieren - für Negatives, wie für Gutes auch."

Friedrichs Worte machen Schlagzeilen. Als sein Ministerium tags darauf zurück rudert, hat sich die Nachricht längst verbreitet und sorgt für Aufregung im Netz.

Doch nicht nur in Deutschland fürchten konservative Politiker das Internet wie das Beispiel England zeigt. Während der Unruhen erwägt Premierminister David Cameron Teile des Internets abzuschalten, er fordert medienwirksam eine "Netzbeschränkung für Randalierer"(Spiegel Online, 11.08.2011), er will ein SMS- und Twitter-Verbot (Rheinische Post, 11.08.2011) und sogar "Twitter kappen" (Die Welt, 12.08.2011).

Medien spielen mit

Stefan Plöchinger: "Die Medien spielen eine sehr schwierige Rolle. Sie verbreiten sehr, sehr schnell Vorabmeldungen mit billigen Forderungen nach Amokläufen, sie stellen Geschichten übers Internet so holzschnittartig dar und andere Medien übernehmen diese Darstellung wieder und wieder und wieder, so dass wir sehr schnell in einen sehr platten Diskurs kommen in Deutschland. Das ist der Sache nicht gerecht. Es ist der schnellen Schlagzeile gerecht."

Doch der platte Diskurs wird auch im Internet gefördert. Auf jede Politiker-Äußerung folgt Häme. "Keine Sorge: Freiheitsrechte sind nur eine Mode-Erscheinung", wird Siegfried Kauder verspottet. Sachliche Debatten mit der Gegenseite finden selten statt. Die Kluft zwischen Netzbefürwortern- und Gegnern wächst. Dabei gäbe es durchaus Dialogbereitschaft.

Geraldine de Bastion: "Es gibt ja auch in jeder Partei vereinzelte Politiker, die gute Arbeit machen, die sich mit dem Internet beschäftigt haben, mit verschiedenen Organisationen zusammensetzen, ausgetauscht haben und auch in ihrer Partei versuchen, ein bisschen Lobbyarbeit für dieses Politikfeld zu machen."

Doch bislang dringen diese Politiker nicht durch. Weder in Berlin noch in den Medien. Der Feldzug gegen das Internet geht weiter. Die Angst regiert mit.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 24.08.2011 | 23:35 Uhr

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