Sendedatum: 31.03.2010 23:05 Uhr

Vorverurteilung von Kachelmann

von Jasmin Klofta, Stephanie Zietz

Beginnen wir mit einem kleinen Spiel: Ich sage Ihnen zwei Sätze zu zwei Personen und dann versuchen Sie einmal, daraus etwas zu konstruieren. Also: Die Frau ist sportlich und war als Kind eine tolle Hürdenläuferin. Und: Der Mann spielt leider kein Instrument und hängt dafür abends öfter vor der Glotze. So und jetzt versuchen Sie, daraus Hintergründe für ein mögliches Vergewaltigungsszenario zu basteln. Wie soll das gehen? Für viele Journalisten kein Problem. Denn obwohl niemand irgendwas Konkretes über den Fall Kachelmann weiß, wird anhand solch banaler Informationen trotzdem täglich geschrieben, interpretiert, gemutmaßt und konstruiert. Zapp über die absurdesten Blüten, die diese Geschichte in den Medien treibt.

 

Kachelmann in seiner Wettersendung im Ersten: "Schönen Guten Abend, herzlich Willkommen beim Wetter. Es war eine besondere Wetterlage." - so kennt ihn die Öffentlichkeit. Jörg Kachelmann ist zur eigenen Marke geworden, der lustige Wetterfrosch im Ersten. Doch vorigen Dienstag titelt Bild sensationsheischend "Kachelmann in Knast" (Bild, 23.03.10). Der Wettermoderator steht unter dringenden Verdacht eine Frau vergewaltigt zu haben. Er sitzt in Untersuchungshaft. Das sind alle gesicherten Fakten, aber genug Stoff für unzählige Titelseiten, tagelang. Gisela Friedrichsen, Redakteurin des Spiegels meint: "Dadurch, dass man so wenig weiß, oder nur den Vorwurf kennt, steigt natürlich das Interesse daran, ja, was ist denn wirklich gewesen?" Und Harald Staun von der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung sagt: "Ich glaube, es ist einfach so, dass diese Informationslosigkeit, diese Faktenlosigkeit, diese Leere, die dadurch entsteht, eine wunderbare Einladung ist für viele Medien, für viele Redaktionen diesen Raum mit ihren eigenen Spekulationen, mit ihren eigenen Geschichten zu füllen, die man umso blumiger ausschmücken kann."

Nichtigkeiten in den Zeitungen

 

Bild schreibt mitfühlend "Mutter besucht Kachelman im Knast" (31.03.10). Und zuvor, er dürfe sogar Fernsehen gucken (25.03.2010). Und die Welt verkündet stolz, im Gefängnis "gibt es Fleischkäse mit Wirsing" (25.03.10). Das sind keine Infos, sondern Nichtigkeiten.

Harald Staun: "Was für mich neu war und beunruhigend neu in dieser Berichterstattung war, dass man gar keinen Anlass mehr brauchte sozusagen oder immer nur eine Nichtigkeit, um anzufangen mit dieser Spekulationsmaschine."

Schuldig oder unschuldig? Der Stern gräbt dafür entfernte Bekannte aus. In dem Artikel "Der Fall Kachelmann" (30.03.10) äußert sich einer über eine Ex-Beziehung von Jörg Kachelmann: Katja H. Er beschreibt die Beziehung: "Sie war ein junges Ding und er ihr Chef". Bild.de benutzt sogar eine Ex-Beziehung für Mutmaßungen. Heike Nocker-Bayer, Ex-Freundin, erzählt in einem Video: "Ich habe ihn sehr liebevoll erlebt, im beruflichen Leben auch. Und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie es und dass es überhaupt zu Gewalttätigkeit gekommen ist." (bild.de).

Spekulation im Privaten

 

Gisela Friedrichsen meint: "Aus dem Privatleben eines Prominenten, da darf man natürlich solche Dinge, wie einen dringenden Tatverdacht zitieren, aber man muss natürlich Abstand halten von den Dingen, die nicht unmittelbar damit zu tun haben." Doch auch die seriösen Medien halten nicht immer Abstand im Fall Kachelmann. Die Nachrichtenagentur dpa gibt eine umfangreiche und wertende Einschätzung über Kachelmann als Meldung raus. Kachelmanns Bart wird charakterisiert als "flaumartiges Gekräusel". Er sei ein "Hansdampf". Und scheinheilig fragt der Dpa-Autor: "Ist seine Medienkarriere am Ende?"

Harald Staun: "Wenn jetzt aber eine Nachrichtenagentur wie die dpa anfängt, solche Spekulationen zu verbreiten, wie sie es getan hat in einem Text, dann hat das natürlich eine ganz andere Amtlichkeit, eine ganz andere Autorität. Und die Gefahr ist natürlich schon ganz schön groß, dass es andere Redaktionen übernehmen."

Gieriges Warten auf Neuigkeiten

Bei einem Termin vor dem Haftrichter gibt es für Journalisten neues Futter: ganze elf Sekunden Kachelman. Harald Staun sagt: "Man hat diese ganzen elf Sekunden aufgebläht, in Standbilder zerlegt, und auf einmal hatte man die unterschiedlichsten Gesichter von Kachelmann, die unterschiedlichsten Gesten. Hat untersucht, warum er keinen Anzug anhatte, was es mit dem abrasierten Bart auf sich hat. Es war unglaublich, wie viel Raum für Spekulationen diese elf Sekunden auf einmal eröffnet haben."

Auf Bild.de orakelt ein Therapeut über "die Psychologie im Fall Jörg Kachelmann" (26.03.10). Und bei RTL Punkt 12 nimmt eine Expertin für Körpersprache diese elf Sekunden im Detail auseinander:
"Unsere Expertin für Körpersprache analysiert für uns die Wirkung des Kachelmann-Auftritts: Haltung, Mimik und Gestik sagen ihr, wie es Personen wirklich geht.
Das Lächeln:
Ulrike Knaur: "Der hat ein Lächeln, aber dieses Lächeln ist nicht echt. Und zwar aus dem Grund nicht, weil hier keine Falten sind. Ein echtes Lächeln sieht man immer in den Augenfalten."
Die Rasur:
Ulrike Knaur: "Rasiert wirkt tatsächlich seriöser. Ich bin, ich kann keinem etwas zu leide tun. Natürlich sieht man jünger aus. Jünger, unschuldiger, kleiner."
Der Pulli:
Ulrike Knaur: "Wenn man morgens zum Schrank geht, je nachdem wie meine Stimmung ist, je nachdem was ziehe ich an, ne? Ringelpulli ist natürlich, klar ist, wie ein Gitter kann man sehen." (RTL, Punkt 12).

Harald Staun: "Es ist natürlich lächerlich durch so Ferndiagnosen am Fernseher, anhand von Bildern die elf Sekunden oder wie lange die auch immer dauern, ein psychologisches Urteil über einen Mann zu fällen. Sein ganzes Leben zusammenzufassen auf einen Gesichtsausdruck. Und dann zu sagen, ob man eine Falte sieht oder nicht, davon hänge jetzt ab ob er schuldig ist oder nicht."

Kachelmann weiß um die Macht der Bilder

 

Er kennt die Mechanismen dahinter, weiß um seine Wirkung bei den Zuschauern. Die elf Sekunden konnten überhaupt nur entstehen, weil Jörg Kachelmann es erlaubt hat. Er wurde nicht gezwungen, sich den Medien zu präsentieren. Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaften, erklärt: "Er weiß natürlich, dass diese elf Sekunden, wenn es dabei bleibt, das einzige sind, womit die Medien operieren können und dass er deshalb alles daran setzen muss, diese elf Sekunden so gut im Griff zu behalten, wie es ihm in seiner Situation möglich ist." Kachelmann weiß, wie die Medien ticken. Deshalb hat er neben einem Anwalt für Strafrecht auch noch einen Anwalt speziell für Medienbelange engagiert. Gisela Friedrichsen: "Dass der Herr Kachelmann zwei Anwälte hat, sagt eigentlich schon alles. Er weiß ganz genau, dass es nicht nur auf die juristische Seite der Geschichte ankommt, sondern dass er auch in der Öffentlichkeit irgendwie rüberkommen muss und dafür hat er dann seinen eigenen Spezialisten."

Auch Details der betroffenen Frau geraten an die Öffentlichkeit. In der Bunten wird sie in dem Artikel "Die Frau, die ihn beschuldigt" Tatjana genannt und man erfährt über sie: "Tatjana ist sehr sportlich" und "sie hat 29 Paar Schuhe" (Bunte, Nr. 14, 01.04.10). Ihre Stimme in der Öffentlichkeit: Ein Anwalt, der mit den Medien umgehen muss. Denn die Anwälte schlagen die Schlacht nicht nur vor Gericht. "Wer lügt", fragt Bild (24.03.10) und zitiert den Anwalt der Frau, "Sie lernte Herrn Kachelmann bei einem Interview kennen." Und einen Tag später: "Meine Mandantin hat 100 prozentig die Wahrheit gesagt."

Gisela Friedrichsen: "So kann man eine Sache natürlich am Kochen halten. Und in dem Moment, wo das mutmaßliche Opfer merkt oder der Anwalt des mutmaßlichen Opfers merkt, hoppla, die Hoheit über die Bilder oder die Sympathien schlagen jetzt zugunsten Kachelmanns aus, also müssen wir wieder was nachlegen."

Vorverurteilung?

Täglich neue Enthüllungen und das, obwohl es seit einer Woche keine neuen, relevanten Fakten gibt. Denn in der Sache geht es nach wie vor nur darum, ob und wann Anklage erhoben wird. Und trotzdem haben viele Medien schon gerichtet. Harald Staun: "Die Pointe, die sich durch sehr, sehr viele Artikel durchzieht, egal in welchen Medien, auch in seriösen Medien, ist ja die, dass Kachelmann, egal wie das gerichtliche Urteil irgendwie ausfallen wird, sowieso erledigt ist. Seine Karriere ist vorbei, man kriegt diesen Verdacht nie wieder los, den er jetzt dran hat. Es gibt aber nirgends das Bewusstsein dafür, dass, wenn man das so ausspricht, eigentlich das Urteil fällt." Norbert Bolz: "Vorverurteilungen liegt bei derartigen Delikten, bei derartigen Anschuldigungen eigentlich immer in der Luft. Einfach deshalb, weil man ja sachlich kaum weiterkommen kann, wenn Aussage gegen Aussage steht, dann ist der freien Phantasie eigentlich Tür und Tor geöffnet."

 

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ZAPP | 31.03.2010 | 23:05 Uhr