Stand: 01.03.2017 16:40 Uhr

"Freiheit für Deniz - und all die anderen!"

von Daniel Schmidthäussler und Sabine Schaper
Eine Anzeige für die Freilassung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel. © dpa-Bildfunk Foto: Andreas Arnold
Unter dem Motto #FreeDeniz wird für die Freilassung des inhaftierten "Welt"-Journalisten demonstriert - auch mit einem Autokorso.

Bis zuletzt hatten sie noch gehofft, dass "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel, der sowohl einen türkischen als auch einen deutschen Pass besitzt, nach 13 Tagen Polizeigewahrsam doch noch freigelassen würde. Dann am späten Montagabend die Gewissheit aus Ankara: Yücel bleibt in Haft. Der Vorwurf: "Terrorpropaganda" und "Aufwiegelung der Bevölkerung". Für seine Freunde und ehemalige Kollegen wie Ivo Bozic war schnell klar, was getan werden muss und was auch Deniz tun würde: Demonstrationen per Autokorso.

VIDEO: "Freiheit für Deniz - und all die anderen!" (6 Min)

Autokorso unter dem Motto #FreeDeniz

"Wir fahren durchs Regierungsviertel und das hat natürlich damit zu tun, dass wir uns nicht damit abfinden wollen, dass Frau Merkel und Herr Gabriel sagen, die Maßnahmen, die Untersuchungshaft seien unangemessen hart. Da frage ich mich schon, was denn angemessen hart wäre für einen Journalisten, der nur seine Arbeit gemacht hat", so Bozic. Und er war nicht allein. In neun deutschen Städten haben am Dienstag tausende Menschen für die Freilassung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel per Autokorso demonstriert. Allein in Berlin waren es mehr als 100 Autos, die unter dem Motto #FreeDeniz mit Plakaten und lautem Hupen auf die Situation des in der Türkei inhaftierten Journalisten aufmerksam machten.

Breite Allianz, um "liberale Gesellschaft zu verteidigen"

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Ulf Poschardt von der "Welt" © NDR
10 Min

Poschardt: "Vorwürfe gegen Deniz sind absurd"

"Lesen Sie seine Texte, dann wissen Sie, der hat einfach nur seinen Job gemacht", so "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt. Die Gründe für die Untersuchungshaft von Deniz Yücel nennt er "absurd". 10 Min

Ulf Poschardt, der als Chefredakteur der "Welt" den ehemaligen "taz"-Journalisten Yücel als Korrespondenten in die Türkei geschickt hat, hatte immer wieder an die Behörden appelliert, keine Untersuchungshaft zu verhängen. Vergebens. "Und ich finde es so wichtig, dass wir in so einer Situation ein Zeichen einer politischen Kultur setzen, dass wir sagen bei allen unseren Unterschieden - also ich würde sagen, ordnungspolitisch ist zwischen 'taz', 'Jungle World' und uns eine denkbar große Differenz, aber wenn es darum geht, den Kern unserer Verfassung, die Grundgesetze, das Wesen von einer freien liberalen Gesellschaft zu verteidigen, dann finde ich, kann in Deutschland die Allianz nicht groß genug sein."

Rangliste der Pressefreiheit: Türkei auf Platz 151 von 180

In der Türkei sind laut der Journalistenorganisation Platform24 zurzeit 154 Journalisten in Haft, zum Teil ohne konkrete Anklage, zum Teil seit Monaten. Unter dem Ausnahmezustand, der nach dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli vergangenen Jahres verhängt wurde, wurden laut Reporter ohne Grenzen insgesamt 149 Zeitungen, Radio- und Fernsehsender geschlossen, 775 Journalisten wurde die Pressekarte aberkannt. Nicht verwunderlich, dass nicht wenige Kollegen sich entschlossen haben, ins Exil zu gehen, um von dort zu arbeiten.

VIDEO: Türkische Exiljournalisten in Deutschland (6 Min)

Kritische Journalisten gehen ins Exil

Prominentestes Beispiel ist wahrscheinlich der ehemalige Chefredakteur der "Cumhuriyet" Can Dündar. In den Räumen des Recherchebüros von "Correctiv" hat er die Internetplattform "Özgürüz" gegründet. Seit einem Monat schreiben dort gut ein Dutzend Mitarbeiter Artikel, die sich kritisch mit der Türkei auseinandersetzen, auf Deutsch und auf Türkisch. Nicht ohne Probleme, wie CvD Hayko Bağdat einräumt: "Einen Tag bevor unsere Seite hätte ausgestrahlt werden sollen, sind wir in der Türkei blockiert worden. Wir kriegen natürlich zig Mails, aber auch über die sozialen Medien Bedrohungen und Beschimpfungen." Laut "Correctiv"-Chef David Schraven haben inzwischen sogar schon fünf "Özgürüz"-Journalisten gekündigt. Ihnen war die Arbeit zu gefährlich geworden.

Große Solidarität für Exil-Journalisten

Bülent Mumay war Online-Chef der "Hürriyet", bis er auf Druck der türkischen Regierung 2015 entlassen wurde. In Deutschland arbeitet er jetzt als Freelancer, in der "FAZ" erscheint regelmäßig eine Kolumne von ihm. Themen: immer wieder Erdogans Türkei. Er sagt, hier sei er freier. Selbst wenn er über dieselben Themen schreibe wie damals, könne er so auch zu anderen Schlüssen kommen, weil er weniger Rücksicht nehmen müsse. Trotzdem habe er Erwartungen gehabt, als der nach Deutschland kam, die sich leider nicht erfüllt hätten: "Mir wird von den Journalisten eine große Solidarität entgegen gebracht. Dafür möchte ich mich bedanken. Die Medienhäuser könnten allerdings hilfreicher sein und uns etwas mehr unterstützen."

Zumindest so lange sie hier seien, fügt er hinzu, irgendwann würde sie ja wieder zurückgehen. Wann das sein wird, ist nach der jüngsten Entscheidung im Fall Yücel allerdings noch weiter in die Ferne gerückt.

ZAPP-Beiträge über die Pressefreiheit in der Türkei

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 01.03.2017 | 23:15 Uhr

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