Stand: 20.09.2013 13:33 Uhr

Mit dem "Taxi nach Leipzig"

von Alina Laura Tiews, Hans-Ulrich Wagner
Szene aus dem ersten Tatort "Taxi nach Leipzig" (1970) mit Hauptkommissar Trimmel (Walter Richter, re./links: Erich Landsberger, gespielt von Paul Albert Krumm) © NDR/Scharlau
Szene aus dem ersten Tatort "Taxi nach Leipzig" (1970) mit Hauptkommissar Trimmel (Walter Richter, re.)

Sonntagabend, 29. November 1970: Mit dem "Taxi nach Leipzig" vom NDR startet die neue Krimireihe "Tatort" im Ersten. Was als Experiment begann, entwickelte sich zur Kult-Sendung. Dabei hatten die Wegbereiter vor mehr als vierzig Jahren einige Herausforderungen zu meistern, und die Erfolgsaussichten der regionalen "Tatort"-Ermittler waren alles andere als rosig. Bevor Paul Trimmel, der Hamburger Fernsehkommissar, seine Ermittlungen im ersten "Tatort" aufnehmen konnte, gab es viele Hürden zu überwinden.

"Der Kommissar" - neues Zugpferd im ZDF-Programm

Die Geschichte der erfolgreichen ARD-Krimi-Reihe reicht bis in den Sommer 1968 zurück. Am Anfang steht der Wettstreit mit dem ZDF um gute Krimi-Unterhaltung. "Lieber Herr Mahlo", alarmiert der ARD-Redakteur für Krimireihen, Bernd von Massow, den stellvertretenden Programmdirektor in Köln, Klaus Mahlo, "in der Sonnabendpresse, genauer gesagt in 'Bild‘ vom 3.8.68, fand ich die groß aufgemachte Meldung, dass das ZDF ab 3. Januar 1969 eine große Kriminalsendereihe unter dem Titel 'Der Kommissar‘ starten wolle". Von Massow ahnt bereits: "Allem Anschein nach will Mainz diese Serie zu einem großen Erfolg machen - dies jedenfalls kann man aus der aufwendigen Besetzungsliste (…) schließen. (…) Ich darf mir die Anregung erlauben, seitens der ARD dieser, wie ich finde, unfreundlichen Aktion zu begegnen."

Kommissar Trimmel wird bedroht. © NDR Foto: Scharlau
AUDIO: Taxi nach Leipzig (84 Min)

Der Freitagabend-Krimi im Ersten ist in Gefahr!

Von Massows Sorge dreht sich um den Ausstrahlungstermin am Freitagabend. Der Sendetermin des ZDF-"Kommissar" überschneidet sich mit der Krimizeit in der ARD. Von Massows Resümee lautet deshalb: "Ich kann mir vorstellen, dass die Mainzer dies auch alles wissen, woraus der Schluss gezogen werden kann und muss, dass das ZDF uns ganz absichtlich an einem wesentlichen Erfolgspunkt unseres Programmes treffen und stören will." Damit steht die ARD vor einer großen Herausforderung. Denn tatsächlich ist Erik Ode als "Der Kommissar" seit dem 3. Januar 1969 sehr erfolgreich unterwegs. Schnell merken die Programmacher im Ersten: Der "Unterhaltungsoffensive" der Konkurrenz muss etwas entgegengesetzt werden.

Vorschläge dringend erbeten

Die Überlegungen der ARD gingen sehr bald in Richtung Sonntag als Krimiabend. Im Juni 1969 beschäftigte sich die Ständige Fernsehprogrammkonferenz mit der Entwicklung einer neuen "Serien-Krimi-Produktion" für den Sonntagabend. Doch Näheres war noch nicht klar.

Die Hoffnungen konzentrierten sich auf ein Projekt, das der damalige WDR-Fernsehspielchef Günter Rohrbach im Sommer 1968 angestoßen hatte. In diesem Zusammenhang tauchte bereits der Name "Tatort" auf. Rohrbach hatte seinen Dramaturgen Gunther Witte beauftragt, eine Krimireihe zu entwickeln, die es mit dem "Kommissar" aufnehmen könne. Witte reagierte interessiert und irritiert zugleich. Der studierte Theaterwissenschaftler war bis zu seiner Flucht aus Ost-Berlin 1961 Dramaturg an vielen Theatern in der DDR gewesen. Beruflich hatte er bis dahin noch nie "was mit Krimis am Hut" gehabt, wie er später gegenüber dem "Stern" und dem "Spiegel" zugab. Privat jedoch schmökerte er schon immer gern in Kriminalromanen, wie er in einem WDR-Fernsehinterview rückblickend erzählte. Zudem erinnerte ihn Rohrbachs Auftrag sofort daran, dass er als Kind den kriminalistisch-dokumentarischen Hörspielen des RIAS "Es geschah in Berlin" gelauscht hatte.

Regional und realitätsnah

Witte war also durchaus neugierig und ging an die Arbeit. Heraus kam ein Konzept für die Krimiserie "Tatort", das auf wenigen, aber zentralen dramaturgischen Regeln beruhte. In jeder Folge sollte ein Kommissar im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus hatten die Filme lebensnahe Geschichten aus der Wirklichkeit der Fernsehzuschauer zu erzählen. Der "Tatort" sollte also Fälle zeigen, die so wirklich hätten passieren können.

Raffiniert versah Witte dieses Grundkonzept mit einem dritten Merkmal. Er empfahl, das Föderale der ARD zum Wesenszug des "Tatort" zu machen. Jede Landesrundfunkanstalt sollte ihren eigenen Ermittler bekommen. Die verschiedenen Kommissare sollten für die Zuschauer seh- und hörbar ihre jeweilige Region vertreten, die Dialekte und Orte ganz naturalistisch im Film wiedergegeben werden. Getreu diesem Prinzip wollte Witte die „Tatort“-Filme jeweils mit dem Namen der Stadt versehen, in der die Folge spielte, so dass es den "Tatort München", den "Tatort Hamburg", den "Tatort Köln" usw. geben sollte. Diese Zusätze entfielen aber schnell und der Arbeitstitel "Tatort" setzte sich durch.

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