Stand: 20.10.2015 15:45 Uhr

"...gegen Meutenjournalismus": Der NDR Info Reporterpool

von Christoph Heinzle, NDR Info

Im Jahr 2005 sind die Zeiten wirtschaftlich schwierig, im gesamten NDR wird gespart. Trotz Etatkürzungen leistet sich der Hörfunk mit Mitteln von NDR Info und NDR 2 eine neue Truppe mit zunächst fünf, später sechs festangestellten Redakteuren und einer Reihe freier Reporter, die in pauschal bezahlten Wochenschichten mit einem neuen Projekt loslegen dürfen. Der NDR Info Reporterpool ist geboren.

Mit der Schwerpunktsetzung für aufwändige Recherche wolle man sich "gegen Nachrichtentrends, gegen Meutenjournalismus, gegen Skandal und Über-Personalisierung positionieren", sagte der damalige NDR Intendant Prof. Jobst Plog zum Start.

Reporterpool
So fing es an - das Team des NDR Info Reporterpools.

"Wir wollen Furchen ziehen, die in Erinnerung bleiben, Geschichten erzählen abseits vom täglichen Nachrichten-Rauschen", lautete die Losung von Joachim Knuth, zu der Zeit Chefredakteur und Wellenchef von NDR Info. Er hatte das Projekt Reporterpool maßgeblich vorangetrieben. Doch es brauchte eine gewisse Anlaufzeit: um Kontakte zu knüpfen und Erfahrungen in investigativer Recherche zu sammeln, um Routine in der Formulierung und Vermarktung der Rechercheergebnisse zu gewinnen.

Erste Reportagen: exklusiv und bewegend

Die thematische Spannbreite war von Beginn an groß. Im Anfangsjahr berichteten die Rechercheure beispielsweise über Milliardenkosten für überteuerte Medikamente, norddeutsche Ermittlungen im irakischen Öl-Lebensmittel-Skandal und Kritik an einem Nahrungsergänzungsmittel für Sportlerinnen und Sportler.

Schlagzeilen machten in den folgenden Jahren auch die zahlreichen Exklusivgeschichten über das Finanzgebaren der HSH Nordbank, das schließlich Gegenstand eines Prozesses und zweier Untersuchungsausschüsse in den Landesparlamenten von Hamburg und Schleswig-Holstein wurde.

Auch Datenschutz war immer wieder ein Thema, etwa im Zusammenhang mit Facebook, Easycash oder deutschen Krankenkassen. Die NDR Info Reporterinnen und Reporter berichteten über Schwarzmarkthandel mit Bundeswehrwaffen, Fälle von Kindesmisshandlung sowie über Pharma- und Medizin-Skandale. Das Team veröffentlichte exklusive, teils auch verdeckte Recherchen aus den Milieus von Rechtsextremen und Rockern - von Burschenschaften und der NPD bis zu den Hells Angels.

"... zum intensiven Hinhören verleitend"

Joachim Knuth, Programmdirektor Hörfunk © NDR/Christine Raczka Foto: Christine Raczka
Joachim Knuth, damaliger Programmdirektor Hörfunk

Der Reporterpool stand von Anfang an auf zwei Säulen. Er sollte nicht nur Investigatives und Nachrichtentaugliches, sondern auch "klassische Seite-3-Geschichten" liefern: "von großer narrativer Kraft, auch emotional geprägt, zum intensiven Hinhören verleitend", wie es der damalige NDR Hörfunkprogramm-Direktor Joachim Knuth 2005 formulierte.

Die Rechercheergebnisse werden stets allen NDR Hörfunkwellen angeboten - immer in der Länge und Darstellungsform, die zum jeweiligen Format passt. Oft gehen die Beiträge auch an alle ARD-Radioprogramme; sie finden ihren Niederschlag im NDR Fernsehen oder in der "Tagesschau" und den "Tagesthemen". Onlinetexte und vertiefende Informationen auf ndr.de und tagesschau.de gehören inzwischen ebenfalls zum Angebot des Rechercheteams - Ergebnis eines mehrjährigen intensiven Vernetzungsprozesses zwischen Fernsehen, Hörfunk und Internet.

Ausgezeichnete Recherchen

Eine Gruppe von Menschen bei der Preisverleihung von Netzwerk Recherche 2009.
2009 erhielt der NDR Reporterpool den "Leuchtturm"-Preis der Vereinigung "Netzwerk Recherche".

Über Pressemitteilungen gelangten NDR Info Exklusivgeschichten auch rasch zu Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Onlineportalen. 2009 holte der NDR Reporterpool bei der Wahl zur "Redaktion des Jahres" des Fachblatts "Medium Magazin" den dritten Platz, "weil das Team 2009 mit zahlreichen Enthüllungen - etwa zur HSH-Nordbank und AWD, zu Bluttests bei Einstellungstests und ähnlichem Datenmissbrauch - für Schlagzeilen sorgte. Damit zeigten die Kollegen, dass Recherche machbar und organisierbar ist."

Die Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche" zeichnete den Reporterpool im selben Jahr mit dem "Leuchtturm" aus und würdigte damit "Ausdauer und Hartnäckigkeit" sowie die "herausragenden kontinuierlichen Rechercheleistungen des Teams". Beiträge des Pools standen unter anderen auf den Preisträger- und Nominiertenlisten des Deutschen Radio-Preises und des Ernst-Schneider-Preises.

"Der Geheime Krieg" und "Offshore-Leaks"

Videoaufnahme eines durch Stacheldraht abgeschotteten Geländes.
AUDIO: "Der Geheime Krieg" (3 Min)

Schließlich kürte das "Medium Magazin" 2013 den NDR Info Reporterpool zusammen mit Rechercheuren des NDR Fernsehens und des Investigativen Ressorts der "Süddeutschen Zeitung" zur "Redaktion des Jahres". Anlass waren die gemeinsamen Recherchen über den "Geheimen Krieg" der US-Agenten und Militärs sowie über das internationale Großprojekt "Offshore Leaks", die laut der Jury "neue Standards im Team-Journalismus" gesetzt haben.

Bei letzterem hatten unter Leitung des Washingtoner Investigativ-Verbunds International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) Journalisten und Medien in mehr als 30 Ländern weltweit 260 Gigabyte vertrauliche Daten ausgewertet. Sie zeichneten damit den Weg von Millionengeldern in Steueroasen nach. NDR Intendant Lutz Marmor würdigte das bis dahin einmalige Projekt: "Es ist wichtig, dass wir uns lange Recherchezeiten leisten, auch ohne dass vorher schon klar sein muss, ob und was am Ende dabei heraus kommt".

Publizistische Schlagkraft

Darüber hinaus war der Reporterpool auch an den ICIJ-Projekten "Luxemburg Leaks", "Swiss Leaks" sowie an gemeinsamen Recherchen zu massenhaften Vertreibungen von Menschen  durch Projekte der Weltbank beteiligt. Damit hatten die NDR Info Reporterinnen und Reporter längst die Grenzen der Zusammenarbeit im eigenen Team und im gesamten NDR überschritten. Bei einzelnen Themen kooperierten die Hörfunker mit Printredaktionen der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", der "Welt" und des "Spiegel".

Eine Computerliste mit Abkürzungen von Namen der Ländern, die als Steueroasen bekannt sind.
AUDIO: "Offshore-Leaks": Ermittler europaweit aktiv (1 Min)

Seit Februar 2014 ist das Team fester Bestandteil des Rechercheverbunds von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung", der bereits mit einer Reihe exklusiver und schlagzeilenträchtiger Geschichten auf sich aufmerksam gemacht hat. Trotz fortgesetzten Kostendrucks und Sparmaßnahmen setzt der NDR auch weiterhin auf die journalistische Kraft investigativer Recherche.

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