Stand: 28.03.2010 12:00 Uhr

Das neue Rolf-Liebermann-Studio: Ein Schmuckstück des NDR

von Gaby Büchelmaier

Unter dem Motto "Probesitzen" lud NDR Intendant Prof. Jobst Plog die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im März 2000 ein, das ehemalige Studio 10 nach Renovierung und Umbenennung selbst in Augenschein zu nehmen.

Jobst Plog, Hélène Liebermann-Vida, Witwe von Rolf Liebermann, und  Paul Spiegel (v. l.) bei der Einweihung des Rolf-Liebermann-Studios, NDR Hamburg, März 2000. © NDR Foto: Gita Mundry
NDR Intendant Jobst Plog, Hélène Liebermann-Vida, und Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden (v. l.).

Aber durfte man das überhaupt so salopp sagen: "Probesitzen"? Klang das nicht ein wenig despektierlich - der Geschichte des ehemaligen jüdischen Tempels, aber auch den Mitarbeitern gegenüber? Die Formulierung im Entwurf der Einladung sorgte für intensive Diskussionen. Aber schlussendlich blieb es dabei: Dieses Haus gehört zum NDR, zu seiner Geschichte, zu seinen Mitarbeitern. Und deshalb durften die dann auch "Probesitzen" und sich vom neuen Glanz des historischen Gebäudes überzeugen. 

Weltberühmter Wegbegleiter

Einweihung Rolf-Liebermann Studio, NDR Hamburg, März 2000 © NDR Foto: Gita Mundry
Paul Spiegel bei der Einweihungsrede des Studios.

"Studio 10" oder "Großer Sendesaal" - unter diesen Bezeichnungen firmierte das Studio über Jahrzehnte. Am 6. März 2000 erhielt es einen neuen Namen: Rolf-Liebermann-Studio. Damit erwies der NDR einem bedeutenden Künstler, der aufs engste mit dem Sender verbunden war, seine Referenz: Rolf Liebermann, weltberühmter Komponist, Förderer zeitgenössischer Klänge, ehemaliger Intendant der Hamburgischen Staatsoper und von 1957 bis 1959 Leiter der Hauptabteilung Musik beim NDR.  

Die festliche Einweihung zur Wiedereröffnung des Studios stand ganz im Zeichen der besonderen Bedeutung des Gebäudes für die jüdische Gemeinde der Hansestadt und für den NDR. Es war eine besondere Ehre, dass Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Einladung des Intendanten gefolgt war und die Gastrede hielt.  

Rückblick: Der jüdische Tempel

Rolf-Liebermann-Studio, NDR Hamburg © NDR Foto: Gita Mundry
Eingang des Rolf-Liebermann-Studios an der Oberstraße 120 in Hamburg.

Am 11. Dezember 1817 gründen 65 jüdische Hausväter den Hamburger Tempelverein. Ganz bewusst entscheiden sie sich für den Ausdruck "Tempel" statt "Synagoge" und verdeutlichen damit ihren reformatorischen Ansatz: Deutsche Predigten und Lieder, kürzere Gebete sowie Orgelbegleitung sollen hierfür ebenso die Basis bilden wie eine andere Organisation des Alltagslebens. Ziele der Hausväter waren die Erneuerung des Glaubens und der Wunsch, sich stärker in die deutsche Gemeinschaft zu integrieren.  

1908 beschließt der Verein, einen neuen Tempel zu bauen. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verzögert sich die Planung jedoch erheblich, sodass erst 1929 ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben werden kann. Die Gewinner dieses Wettbewerbs sind die beiden jüdischen Architekten Felix Ascher und Robert Friedmann. Ihr Entwurf eines Tempels, der sich am Bauhaus-Stil orientiert, ist für die Zeit äußerst gewagt. Bis dahin waren fast alle Neubauten jüdischer Gotteshäuser von nicht-jüdischen Architekten entworfen worden und damit - nach Auffassung Aschers - an christliche Gotteshäuser angelehnt. Daher legen Ascher und Friedmann bei ihrem Entwurf Wert darauf, "jede dem Judentum fremde, mystische Wirkung zu vermeiden" (Felix Ascher, "Der neue Tempel").  

Treppenhaus-Ansicht im Inneren des Rolf Liebermann-Studios. © NDR/Gita Mundry
Das Treppenhaus im Rolf- Liebermann-Studio mit der vergoldeten Decke.

Der neue Tempel, dessen Errichtung rund 560.000 Reichsmark gekostet hat, wird am 30. August 1930 eingeweiht. In der Pogromnacht des 9. Novembers 1938 wird seine Inneneinrichtung zerstört. Schon vor dieser Nacht ist das jüdische Leben im Tempel jedoch weitgehend zum Erliegen gekommen. Viele Gemeindemitglieder sind bereits emigriert, bevor der letzte Oberrabbiner der Gemeinde, Dr. Bruno Italiener, 1938 nach England auswandert. 

Ein Studio für den NDR

Im Juli 1941 geht das Gebäude zunächst in den Besitz der Hansestadt Hamburg über, die es 1946 an den damaligen NWDR vermietet. Es folgt der Umbau in einen großen Konzertsaal. Im Juli 1953 kauft der NWDR das Gebäude von der Jewish Trust Corporation. 1982 wird das Haus unter Denkmalschutz gestellt, ein Jahr später vor dem Eingang das aus Muschelkalk bestehende Mahnmal der Künstlerin Doris Waschk-Balz errichtet. Es soll daran erinnern, dass das Gebetshaus geschändet, aber nicht zerstört wurde. Heute zeugen das vergoldete Deckengewölbe im Obergeschoss und das restaurierte kreisrunde Fenster in Form der jüdischen Menora, des siebenarmigen Leuchters, von der Geschichte dieses Hauses.  

Hier trifft sich die Kultur

Klassische Konzert, Lesungen, Matineen, Jazz, "Sonntakte" - seit Jahrzehnten ist das Studio eine der ersten Adressen für Kulturinteressierte nicht nur aus Hamburg. Bis heute ist es auch Probenbühne für die "Hamburger" Klangkörper des NDR - das Sinfonieorchester, die Bigband und den Chor.  

Seine Geschichte und das besondere Flair als Studio tragen zu seiner Attraktivität bei. Vor allem aber ist es zentraler Begegnungsort für Musikliebhaber. Bedeutende Konzertreihen wie NDR das neue Werk haben dem Studio einen international herausragenden Ruf in Sachen Neuer Musik eingebracht. Arnold Schönberg und Pierre Boulez gehören zu den großen Namen, die sich mit dem Studio verbinden. Jazz aller Stilrichtungen sorgt für ausverkaufte Konzerte und Begeisterungsstürme. Die noch junge Reihe "Sonntagsmatineen", oft von NDR Kultur und dem NDR Fernsehen live übertragen oder aufgezeichnet, hat mit großen Stars wie Siegfried Lenz oder Wolf Biermann ihr Publikum im Sturm erobert. 

Moderne Technik, verstellbare Podeste und ein barrierefreier Zugang sind Selbstverständlichkeiten im Rolf-Liebermann-Studio, die ungetrübten Genuss von Anfang an garantieren. In einem Teil des Saals sorgt zudem eine Induktionshöranlage für ein intensiveres und verständlicheres Hörerlebnis für Hörgeschädigte. Die bequeme Bestuhlung ist da nur noch das i-Tüpfelchen - das zu mehr als nur zu einem "Probesitzen" einlädt.

Karte: Rolf-Liebermann-Studio

Der Direktor des Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpommern Gerd Schneider (l.) und NDR Intendant Jobst Plog bei einer Pressekonferenz 1992 in Schwerin. © NDR Foto: Kurt Hamann

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